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TV-Tipp des Tages: "Tatort: Kaltstart" (ARD)
TV-Tipp des Tages: "Tatort: Kaltstart", 27. April, 20.15 Uhr im Ersten
Bei einer Gasexplosion ist nicht nur ein Schleuser gestorben, den die Polizei an diesem Abend festnehmen wollte, weil er schon geraume Zeit Afrikaner in Containern nach Deutschland schmuggelt; es sind auch zwei Beamte ums Leben gekommen, darunter eine Freundin Falkes.

Erneut zeigt sich, was für ein grandioser Schachzug es vom NDR war, Wotan Wilke Möhring als "Tatort"-Kommissar zu verpflichten: weil der Schauspieler ein Mannsbild mit Ecken und Kanten und trotzdem sensibel ist. Wenn jemand mit einer derartigen physischen Präsenz auch noch die richtige Geschichte und die passenden Partner bekommt, kann eigentlich nichts mehr schief gehen; und deshalb ist auch "Kaltstart" ein großer Sonntagskrimi.

Mächtige Gegenspieler

Der Titel bezieht sich auf den übereilten Dienstantritt von Thorsten Falke (Möhring) und seiner Kollegin Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller): Sie gehören nun zur Bundespolizei, müssen nach einer Gasexplosion in Wilhelmshaven jedoch schon vier Wochen vor dem offiziellen Dienstantritt ran. Bei dem Unglück ist nicht nur ein Schleuser gestorben, den die Polizei an diesem Abend festnehmen wollte, weil er schon geraume Zeit Afrikaner in Containern nach Deutschland schmuggelt; es sind auch zwei Beamte ums Leben gekommen, darunter eine Freundin Falkes. Die einheimischen Kollegen sind überzeugt, bei dem Anschlag handele es sich um den Racheakt eines Spediteurs (Andreas Patton), dessen Ruin der Tote verschuldet hat; für sie ist der Fall geklärt, als sich der Mann das Leben nimmt. Falke glaubt jedoch nicht an Selbstmord. Er spürt, dass hinter den beiden Todesfällen eine größere Sache steckt; so groß, dass sie offenbar die Vorstellungskraft der örtlichen Ermittler übersteigt. Und die mächtigen Gegenspieler sind dem Duo von der Bundespolizei permanent einen Schritt voraus.

Tatsächlich ist "Kaltstart" der ersten Drohnenkrimi, was dem Film eine reizvolle Optik verleiht: Immer wieder sieht man das Geschehen buchstäblich aus der Vogelperspektive, so dass die Bilder an Überwachungs-Thriller erinnern; nebenbei fängt die Kamera irgendwann mal ein Foto von Edward Snowden ein. Emotionales Gegengewicht zur kühlen Draufsicht ist die Binnenperspektive: Falke erkennt, dass ihm die tote Kollegin näher stand, als ihm zu ihren Lebzeiten klar war; entsprechend dünnhäutig und mitunter ungewohnt zynisch ist er im Umgang mit den Mitarbeitern. Gleichzeitig hebt das Drehbuch (Volker Krappen und Raimund Maessen) auch die Beziehung zwischen Falke und Lorenz auf eine neue Ebene. Das gegenseitige "Sie" sorgt zwar nach wie vor für eine gewisse Distanz, doch gerade Lorenz überschreitet die unsichtbare Grenze mehrfach. Regisseur Marvin Kren inszeniert das allerdings angenehm beiläufig, wenn sie beim Gespräch mit einem Zeugen beschwichtigend nach der Hand des Kollegen ergreift, weil der schon wieder aus der Haut zu fahren droht, oder wenn sie ihm wie einem Schuljungen einen strafenden Blick zuwirft. Gerade die gegenseitige Durchdringung dieser beiden Dimensionen – hier der Krimi, dort die persönliche Ebene - macht den großen Reiz der Geschichte aus.

Neben der Musik (Marco Dreckkötter und Stefan Will) sorgen vor allem die Bilder für eine ganz spezielle Stimmung; bei den Innenaufnahmen verleiht Kameramann Moritz Schultheiß dem Film mit Hilfe eines sorgsam und oft sparsam gesetzten Lichts viel Atmosphäre. Endgültig ein besonderer "Tatort" wird "Kaltstart" schließlich durch den Schauplatz: Der riesige Wilhelmshavener Tiefwasserhafen entpuppt sich nicht nur als ausgesprochen reizvoller Drehort, die Investitionsruine sorgt auch für einen brisanten ökonomischen Hintergrund. Angesichts so vieler herausragender Qualitäten lässt es sich getrost verschmerzen, dass dem Film ausgerechnet zum Finale, als Falke den vermeintlichen Drahtzieher der Morde durchs Hafengelände hetzt, etwas die Luft ausgeht.