Viele Finger zeigen auf eine Hand
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Alle gegen Einen? Öffentliche Verfehlungen lösen nicht selten eine Welle der Empörung aus
"Mit Demut und Buße ist ein Neuanfang möglich"
"Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein." An die Worte, mit denen Jesus eine Ehebrecherin vor der Steinigung bewahrte, denkt heute kaum einer, wenn es um gefallene Prominente geht. Aber zugleich haben die Medien eine wichtige Rolle im Aufspüren von Verfehlungen. Kommunikationsexperte Lars Harden über die Medien, Vergebung und Mitleid mit Uli Hoeneß und Christian Wulff.

Christian Wulff und Uli Hoeneß sind zwei Beispiele von "gefallenen Persönlichkeiten". In beiden Fällen entbrannte eine Debatte, ob die Medien in ihren Recherchen zu weit gingen.

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Lars Harden: Die Medien müssen ihre Kontroll- und Kritikfunktion wahrnehmen. Dabei sollte es aber in erster Linie nicht um die "Persönlichkeit" gehen, sondern um die Funktion, die eine Person ausübt.

Charakter und Amt sind aber häufig eng miteinander verknüpft.

Harden: Deshalb haben Medien immer wieder auch Einfluss darauf, dass Personen ihre Funktionen verlieren oder aufgeben müssen. Das ist an sich nichts Schlechtes. Die Fälle sind zahlreich, in denen zum Beispiel durch Medienrecherchen die Veruntreuung öffentlicher Gelder aufgedeckt wird und die Verantwortlichen zu Recht "zu Fall gebracht" werden.

Es gibt den Pressekodex als Selbstverpflichtung der Medien, auch der Gesetzgeber setzt Grenzen. Was darf die Presse – was geht sie nichts an?

Harden: Zum Teil ist erlaubt, was moralisch fragwürdig ist. Und leider wird vielfach auch gegen Gesetze oder Selbstverpflichtungen verstoßen. Grundsätzlich muss sich jeder Journalist fragen: Sind meine Erkenntnisse von öffentlichem Interesse? Meiner Einschätzung nach schadet auch nicht, sich zu überlegen, ob man selbst gerne entsprechend behandelt werden möchte. Für meinen persönlichen Geschmack finde ich es nicht erstrebenswert, durch die Schlüssellöcher anderer zu schauen und in den Medien Dinge zu lesen, die mich nichts angehen, weil sie privat sind.

"Die Grenze zwischen öffentlich und privat ist schwer zu ziehen"

Diese Grenze zwischen "privat" und "öffentlich" verwischt nicht selten. Horst Seehofer steht für konservative Werte, hat aber selbst ein außereheliches Kind. Ist in solch einem Fall eine Affäre privat oder von öffentlichem Interesse?

Harden: Die Grenze ist schwerlich knackig zu definieren. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass, wenn Mutter oder Vater außerehelicher Kinder in ihrer Funktion moralisch ganz andere Werte vertreten, die Existenz unehelicher Kinder durchaus von öffentlichem Interesse ist. Aber: Die Kinder selbst gehören nicht in die Medien!

Gibt es weitere Tabus?

Harden: Viele öffentliche Personen geben sehr viel Privatsphäre auf – häufig auch freiwillig. Andererseits halten viele öffentliche Personen sehr viel Privatsphäre aufrecht. Frau Merkel ist da sicher ein gutes Beispiel. Wer sich der Medien aktiv bedient, um hohe Aufmerksamkeit zu erzielen, hat auch größere Chancen, von ihnen zu Fall gebracht zu werden.

"Niemand kann und muss ohne Fehler sein"

Erwartet "die Öffentlichkeit" zu häufig einen perfekten Prominenten, der sich keine Fehltritte erlauben darf?

Harden: Auch eine öffentliche Person kann und muss nicht fehlerlos sein. Sie muss aber auch nicht authentisch sein. Das wird viel zu häufig und unreflektiert gefordert. Denn in der Öffentlichkeit wird der Mensch meist in einer bestimmten Funktion oder Rolle – zum Beispiel als Politiker oder CEO – wahrgenommen. Es ist auch ein Schutz der Person, sich stark an sein Rollenkonzept zu halten und auf Privates zu verzichten. Das ist weniger authentisch, dafür aber umso professioneller.

Das Volk ist empört – der Politiker tritt ab. Eine besonders direkte Form der Demokratie?

Harden: Prinzipiell spricht nichts gegen Empörung, wenn etwas Empörendes geschieht. Im Gegenteil. Doch im schlimmsten Fall entwickelt sich daraus ein medialer Lynch-Mob, der nicht nur die Regeln guter journalistischer Arbeit, sondern auch die des guten Geschmacks übertritt.

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Warum fällt es uns so schwer zu vergeben?

Harden: Tut es das? Ich hatte zum Beispiel nie den Eindruck, dass es großen Teilen der veröffentlichten Meinung schwer fiel, Margot Käßmann zu vergeben. Die deutsche Öffentlichkeit verzeiht sicher eine ganze Menge, wenn sich der "Schuldige" zu seiner Verfehlung bekennt und demütig zeigt. Gefallene Helden können dann wieder aufstehen, wenn sie Buße getan haben. Der Weg, den die Bibel schon kennt: Bekenntnis, Buße und Neuanfang.

Früher wurde nur am Stammtisch über einen Sünder hergezogen, heute findet das Ganze verstärkt im Internet statt. Sind Debatten über Fehltritte dadurch aggressiver geworden?

Harden: Ich finde nicht, dass die Stimmung aggressiver geworden ist. Wir haben nur mehr Möglichkeiten, Fehltritte sichtbar zu machen. Das Internet, soziale Medien, die Fülle von Kanälen machen das leichter. Der große Unterschied ist, dass die Zutrittsbarriere zur Öffentlichkeit deutlich gesunken ist. Früher konnte ich einen Leserbrief schreiben und hoffen, dass er veröffentlicht wird. Ein Zeitung zu gründen, war da schon deutlich aufwändiger. Heute kann ich als Leser unmittelbar im Netz kommentieren oder mir über einen Blog meine eigene Öffentlichkeit schaffen.

"Wulff ging es offenbar schlecht. Das erzeugt Mitleid"

Im Fall Wulff ist die öffentliche Stimmung während des Prozesses allmählich gekippt. Wullf wurde zum Opfer.

Harden: Weil offenbar an den Vorwürfen nichts dran war. Zudem: Der Mann wurde von seiner Frau verlassen, ist plötzlich ergraut und abgemagert. Es ging ihm offenbar schlecht. Das erzeugt Mitleid. Seine vorher kritisch gesehenen Netzwerke und sein fragwürdiger Umgang mit der Presse treten in der Öffentlichkeit dann bei so viel vermeintlich persönlichem Elend in den Hintergrund.

Wie Jesus den Schriftgelehrten und Pharisäern entgegnete: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein". Ist das noch zeitgemäß?

Harden: Jesus macht deutlich, dass keiner von uns frei von Vergehen ist, und er verhindert die Steinigung einer Ehebrecherin. Sich für andere einzusetzen, die in Not sind und sie vor Unmenschlichkeit zu schützen, ist hoffentlich immer zeitgemäß.

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Kann eine Gesellschaft ohne Vergebung überhaupt funktionieren?

Harden: Nicht nur eine Gesellschaft kann nicht funktionieren, auch für die eigene Psycho-Hygiene scheint mir Vergeben zentral. Es wäre ja furchtbar, wenn man alle kleineren und größeren Verletzungen ständig mit sich herumtragen würde. Um Vergebung zu bekommen, muss die "Tat" aber erst einmal bekannt werden. Diese Rolle übernehmen die Medien und sind auch deshalb für moderne Gesellschaft so wichtig.

Bis vor wenigen Jahrzehnten war ein Politiker eine angesehene Autorität, die man kaum in Frage gestellt hat. Ist es auch ein Zeichen einer autonomen, mündigen Zivilgesellschaft, Autoritäten in Frage zu stellen?

Harden: Mir tun Politiker häufig leid und ich ärgere mich über "Politikverdrossenheit", denn vielfach – so ist mein persönliche Erfahrung – handelt es sich um Menschen, die sich in sehr intensiver Arbeit für andere engagieren und ohne die unsere Gesellschaft nicht funktionieren würde. Gleichzeitig ist es gut und wichtig, dass Menschen, die Macht ausüben, auch kontrolliert werden, gerne auch durch die Medien. Das ist sicher ein gesunder Ausdruck einer modernen Demokratie. Nicht umsonst hängen Demokratie und Pressefreiheit so eng zusammen.