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Die Mensch-Maschinen
Sie tragen Magneten in ihren Fingerkuppen, haben sich Kopfhörer ins Ohr implantieren lassen oder Computerchips unter die Haut. Eine futuristische Vision ist Wirklichkeit geworden: Schon heute leben "Cyborgs" unter uns.

Wer bei Cyborgs zuallererst an willenlose Kampfmaschinen aus US-Filmproduktionen denkt, kennt Enno Park noch nicht. "Ich bin ein Cyborg", sagt der 40-Jährige. Seit drei Jahren trägt der studierte Wirtschaftsinformatiker, der als Kind infolge einer Masernerkrankung gehörlos wurde, ein Chochlea-Implantat. Die Prothese hat ihm sein Hörvermögen zurückgegeben.

Cyborgs, so die offizielle Definition, sind Mischwesen zwischen Mensch und Technik. Schon Mitte der 80er Jahre hat sich die Feministin Donna Haraway in ihrem Aufsatz "Ein Manifest für Cyborgs" mit den Schnittstellen von Mensch und Technik auseinandergesetzt. "Cyborgs sind kybernetische Organismen, Hybride aus Maschine und Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie der Fiktion", schreibt die Biologin.

"Die Technik ermöglicht Sinneserweiterungen"

Weltweit gibt es inzwischen Männer und Frauen, die sich selbst als Cyborgs verstehen. Der irische Künstler und Komponist Neil Harbisson ist bekanntgeworden, weil er als farbenblinder Mann mit Hilfe einer in seinen Schädel implantierten Antenne Farben "hört". Sein "Eyeborg" kann Farben in hörbare Frequenzen umwandeln. Der US-Amerikaner Rich Lee hat sich Kopfhörer in die Ohren einpflanzen lassen. Der Hacker Tim Cannon aus New York trägt einen Chip unter der Haut, der seine Blutwerte misst. Wieder andere haben Magneten im Zeigefinger, um damit Magnetfelder zu erspüren.

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In Berlin haben sich - nach Vorbildern in Barcelona und Pittsburgh - mehrere Gleichgesinnte inzwischen im Verein Cyborgs e.V. zusammengefunden. Als Ziel haben sich die Mitglieder unter anderem gesetzt, Prothesen zu hacken sowie Funktionsweisen, Nebenwirkungen und Gefahren von Implantaten zu dokumentieren. "Wir wollen das Bild des Cyborg als Terminator mit Laserschwert in der Öffentlichkeit korrigieren", sagt Enno Park, der Vorsitzender des Vereins ist. "Die Technik ermöglicht Sinneserweiterungen."

Inzwischen beschäftigt sich auch die Wissenschaft mit dem Phänomen. "Ein Cyborg ist ein Lebewesen, das durch ein technisches Implantat in seiner Leistungsfähigkeit beeinflusst wird", definiert Christof M. Niemeyer vom Karlsruher Institut für Technologie. Der Forscher fügt hinzu: "Das ist bereits der Fall, wenn man einen Herzschrittmacher implantiert hat." Das ist nur ein Beispiel unter vielen: Netzhautimplantate geben fast Blinden das Augenlicht wieder, Gehirnimplantate stimulieren tiefe Hirnregionen und werden bei Epilepsie-Patienten oder in der Schmerztherapie eingesetzt. Wissenschaftler arbeiten zudem an Schnittstellen im Gehirn, über die Arm- oder Beinprotesten gesteuert werden können.

Sind alle Smartphone-Nutzer Cyborgs?

Demgegenüber warnt der Tübinger Medizinethiker Jens Clausen vor einer zu leichtfertigen Anwendung des Cyborg-Begriffs auf den Menschen. "Wenn wir von Cyborgs sprechen, sprechen wir von Mischorganismen," sagt der Wissenschaftler. Cyborgs, so erklärt er, sind moralisch-defizitäre Wesen, die eine Bedrohung für die Menschen darstellen. "Den Begriff auf Menschen mit Herzschrittmacher anzuwenden, ist hochproblematisch." Clausen verweist auf die Grenzen der technischen Optimierung des Menschen: "Wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der wir 24 Stunden nur Leistung bringen?", fragt er.

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Andere Wissenschaftler gehen hier weiter. Die US-amerikanische Soziologin Sherry Turkle vom Massachusetts Institute of Technology glaubt, dass bereits Menschen, die intensiv Smartphones oder Tablets nutzen, mit der Technik eins und so zu einer Art Cyborg werden. "Wir sind jetzt alle Cyborgs", schreibt sie in ihrem Buch "Alone together".

Und der "Cyborg" Enno Park? Momentan tüftelt er an einem Zwei-Cent-Stück-großen, vibrierenden Wecker, den er sich in den Arm implantieren lassen will. Nachts sind seine Implantate ausgeschaltet, einen herkömmlichen Wecker hört er nicht. Den gebürtigen Ostfriesen stört aber auch die Abhängigkeit von Ärzten, das Warten in Krankenhausfluren, wenn es um die Nachjustierung seines Implantats geht. Viel lieber würde er das in einem Café selbst tun, gibt er zu. "Es geht darum, die Grenzen des Machbaren auszuloten", sagt er.