Foto: dpa Picture-Aalliance/Mohammad Asad
Wütende Textilarbeiterinnen in Bangladesch fordern neue Jobs.
Bangladesch: Textilarbeiterinnen kämpfen um Gerechtigkeit
Mehr als 1130 Tote und rund 1650 Verletzte: Rana Plaza steht für das schwerste Unglück in der Geschichte der Textilindustrie Bangladeschs. Die Katastrophe löste weltweit Entsetzen aus. Ein Jahr später hat sich nur wenig geändert.
24.04.2014
epd
Michaela Hütig

16 Stunden lang lag Shila Begum hilflos unter den Trümmern. Ihr rechter Arm war unter einer Nähmaschine, ihr Bauch unter einem Wandpfeiler zusammengequetscht. Immer wieder verlor die Näherin das Bewusstsein. "Wenn ich zu mir kam, hatte ich unbeschreibliche Schmerzen und dachte, dass ich meine Tochter nie mehr wiedersehen würde", erinnert sie sich an den Unglückstag vor einem Jahr, als in Bangladesch das Fabrikhochhaus Rana Plaza einstürzte. Shila hatte alle Hoffnung aufgegeben, als sie schwer verletzt geborgen wurde.

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Die heute 26 Jahre alte Näherin gehört zu den rund 1650 Verletzten des schwersten Fabrikunglücks in der Textilindustrie Bangladeschs am 24. April 2013. Mehr als 1130 Menschen verloren dabei ihr Leben. Erst am Tag zuvor waren an dem achtstöckigen Gebäude Risse festgestellt worden.

Dennoch wurden Tausende Näherinnen von den Fabrikbesitzern gezwungen weiterzuarbeiten, für Hungerlöhne. Mindestens 18 westliche Modefirmen bezogen nach Angaben von Aktivisten Kleidung aus den Fabriken des Rana Plaza, darunter die deutschen Unternehmen Adler, NKD, KiK, KANZ/Kids Fashion Group und Güldenpfennig. Auch T-Shirts, Hosen und Pullover von Benetton, Mango, Primark und C&A wurden dort genäht.

Die Katastrophe warf ein Schlaglicht auf die Missstände in der Textilindustrie in Bangladesch und löste weltweit Entsetzen aus. "Vielen Verbrauchern hat das Unglück erst vor Augen geführt, unter welch unmenschlichen Bedingungen ihre Kleidung hergestellt wird", sagt Frauke Banse von der Kampagne für Saubere Kleidung. Nach Protesten im In- und Ausland wurden Initiativen gestartet, um die Sicherheit in den Fabriken und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Doch nach Ansicht von Gewerkschaften und Aktivisten reicht das noch lange nicht aus.

Das Einkommen müsste bei 256 Euro liegen

So wurden im vergangenen Jahr mehrere Verträge geschlossen, um die Sicherheit in den rund 5000 Textilfabriken in dem südasiatischen Land zu verbessern. Einem Gebäude- und Brandschutzabkommen traten 150 vorwiegend europäische Unternehmen bei, es umfasst etwa 1700 Betriebe mit mehr als zwei Millionen Beschäftigten. Die Sicherheit wird nun von den Behörden überprüft, und etliche Fabriken mussten bereits geschlossen werden. Die Besitzer des Rana Plaza und einige Fabrikbetreiber wurden festgenommen und verurteilt.

Rettung eines Arbeiters aus den Trümmern der Textilfabrik

An den Arbeitsbedingungen haben die Abkommen aber wenig geändert. Die überwiegend weiblichen Beschäftigten müssten weiterhin Überstunden leisten und seien Beschimpfungen und körperlicher Gewalt ausgesetzt, erklärt Gisela Burckhardt von der Frauenrechtsvereinigung FEMNET, Mitträgerin der Kampagne für Saubere Kleidung. Gewerkschaften würden weiter unterdrückt.

Die Erhöhung des monatlichen Mindestlohns von umgerechnet 30 auf 53 Euro brachte den Näherinnen laut Burckhardt wegen der hohen Inflation netto kaum mehr Lohn. Das Einkommen müsste bei 256 Euro liegen, um eine vierköpfige Familie ohne Überstunden zu ernähren. Zudem habe in den ersten beiden Monaten dieses Jahres nur die Hälfte der Betriebe den Mindestlohn auch tatsächlich überwiesen. "Viele Fabrikbesitzer erklärten, sie könnten den neuen Lohn nicht zahlen, da die Einkäufer keine höheren Preise gezahlt hätten, sondern im Gegenteil die Preise weiter drückten", sagt Burckhardt.

"Die meisten Firmen ducken sich weg"

Auch bei den Entschädigungen für die Rana-Plaza-Opfer werden die westlichen Firmen nach Einschätzung der Aktivisten ihrer Verantwortung nicht gerecht. Um medizinische Kosten und Lohnausfälle abzudecken, sind knapp 30 Millionen Euro notwendig. In einen Entschädigungsfonds unter Aufsicht der Internationalen Arbeitsorganisation wurde aber erst etwa ein Drittel davon eingezahlt. "Die meisten Firmen ducken sich weg", sagt Banse.

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Neben den Hinterbliebenen der Getöteten sind vor allem die verletzten, verstümmelten und gelähmten Arbeiterinnen wie Shila Begum auf Geld angewiesen. "Die Firmen müssen eine Entschädigung zahlen, damit wir überleben können", sagte die verwitwete Mutter einer zehnjährigen Tochter kürzlich während einer Deutschlandreise. Seit dem Unglück ist sie arbeitsunfähig. Ihre Gebärmutter musste entfernt werden, den rechten Arm trägt sie immer noch in einer Schiene. Mit einer Entschädigung hofft sie, wieder Fuß zu fassen: Sie möchte einen Kiosk eröffnen.