Dass Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen sollen, ist mittlerweile eine geläufige Forderung. Die Umsetzung der Inklusion ist in den verschiedenen Bundesländern, natürlich auch von Stadt zu Stadt, unterschiedlich weit gediehen. Manche sind durchaus ambitioniert. Beispiel Köln: Bis zum Jahr 2020 möchte man eine "inklusive Schullandschaft" verwirklichen, mit einer Inklusionsrate von 80 Prozent.
Seit Deutschland im Jahr 2008 die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung unterzeichnet hat, machen sich viele Schulen auf den Weg zu einem gemeinsamen Lernen von Kindern mit und ohne besonderen Förderbedarf. Doch zwischen den einzelnen Bundesländern bestehen noch große Unterschiede: In Bremen und Schleswig-Holstein beispielsweise besuchen über 50 Prozent der Schüler mit Förderbedarf eine Regelschule, andernorts sind es erst knapp über 10 Prozent.
Auch hat noch nicht jedes Bundesland schulische Inklusion gesetzlich verankert. In NRW wurde mit dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz eine erste Weichenstellung getroffen. So wurde darin die Regelschule als der übliche Ort für Kinder mit besonderem Förderbedarf festgelegt und nicht mehr die Förderschule, die nunmehr die Ausnahme darstellen soll.
Die Familienklasse: Vielfalt und individuelles Lernen
"Wir sind unterschiedliche Menschen in einer Klasse, verschiedene Altersgruppen auch und wir haben verschiedene Interessen und Neigungen, aber wir gehören zusammen." Das sagt Schulleiterin Uschi Brockerhoff über die "Familienklassen" der Schule Kunterbunt, in der Schüler von der ersten bis zur vierten Klasse miteinander lernen. Brockerhoffs Schule hat über 20 Jahre Erfahrung mit Gemeinsamem Unterricht (GU) von Schülern mit und ohne Behinderung.
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Die jahrgangsübergreifenden Klassen bilden den Kern ihres Schulkonzeptes. Je zwei dieser Klassen haben gemeinsam eine "Heimat", gehören also zusammen und werden von Sonderpädagoginnen und Grundschullehrerinnen im so genannten Teamteaching gemeinsam betreut. Für Deutsch, Mathe und Englisch werden die Kinder allerdings getrennt unterrichtet.
Um allen in der Familienklasse gerecht zu werden, die "ganz Fitten" zu fördern und Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf dort abzuholen, wo sie gerade stehen, ist eine individuelle Herangehensweise sinnvoll: Lernziele werden festgesteckt, für jeden passend, und zwar in Absprache mit dem Schüler oder der Schülerin – wobei das nicht heißt, dass jeder machen kann, was er will, betont Brockerhoff. Vor allem in der Freiarbeit oder in Miniprojekten für Deutsch oder Mathe, also in "offenen Unterrichtsformen", können diese individuellen Lernziele verwirklicht werden.
Teamteaching erfordert einen steten Austausch: Das Team aus Sonderschulpädagogin und Grundschullehrerin, aber auch weitere Professionen wie Sozialpädagoge, Sozialarbeiter und Heilpädagoge gehören zum System und sind in Teamsitzungen eingebunden. Einmal in der Woche stehen Fallbesprechungen an.
Wie geht das eigentlich – mit Inklusion anfangen?
In vielen Kölner Schulen herrscht Aufbruchstimmung. Derzeit befinden sich 43 Grundschulen "auf dem Weg zur Inklusion" und 51 Schulen in Sekundarstufe eins sowie eine Schule, die gemeinsames Lernen von Klasse eins bis zehn anbietet. Im laufenden Schuljahr gehen geschätzte 34 Prozent der behinderten Kinder in Regelschulen. Auch für das neue Schuljahr sind sechs Grundschulen und sechs weiterführende Schulen am Start.
Die katholische Michael-Ende-Grundschule ist eine der Schulen, die im Sommer 2013 angefangen haben, inklusiv zu unterrichten. Die junge Schulleiterin Anne Lena Ritter und ihr Kollegium haben sich auf diese Aufgabe vorbereitet, unter anderem, indem sie erfahrene Schulen wie die Schule Kunterbunt besucht haben.
Mit den Erkenntnissen, die in Hospitationen und Fortbildungen gesammelt werden konnten, bereitete die Lehrerschaft den Start vor. So wurden beispielsweise neue Materialien für Kinder mit besonderem Förderbedarf beschafft. Glücklicherweise, so Anne Lena Ritter, hatte man schon Erfahrung mit einer großen Vielfalt aufgrund der sehr heterogenen Schülerschaft in Köln-Ehrenfeld.
Grundsätzlich ist jede Schule in der Umsetzung des gemeinsamen Lernens, also in der Erarbeitung eines Konzeptes, frei. An der Michael-Ende-Grundschule wurden die acht Kinder mit besonderem Förderbedarf auf die beiden ersten Klassen verteilt, um eine "Sonderstellung" zu vermeiden. Diese Klassen werden von der Sonderpädagogin, die im Sommer an die Schule kam, und einer Sozialpädagogin gemeinsam mit der jeweiligen Klassenlehrerin betreut. Lernziele werden im Unterricht individueller gestaltet, prinzipiell ähnlich wie an der Schule Kunterbunt.
Genug Personal ist eine Frage des Geldes
Im laufenden Unterrichtsjahr zeigte sich jedoch, dass Sonderpädagogin Ulla Richartz-Malangré das hohe Arbeitspensum durch die Doppelbelastung - Unterricht einerseits und Austausch, Beratung und Bürokratie andererseits - auf Dauer kaum bewältigen kann. Daher wird sich ihre Rolle künftig ändern müssen. "Teamteaching war ein Traum von vielen von uns", meint sie, aber es wird demnächst nicht mehr möglich sein. Auch der Direktorin bereitet der Rollenwechsel der Sonderpädagogin in eine eher beratende Funktion Sorge: Gerade wenn mit dem nächsten Schuljahr weitere Kinder mit besonderem Förderbedarf kommen, wäre es sinnvoll, personelle Unterstützung zu bekommen. Ob das so sein wird, ist fraglich - letztendlich hängt es am Geld.
Der Entschluss inklusiv zu arbeiten, entstand an dieser Schule übrigens aus einer konkreten Situation heraus: Die Eltern eines Jungen mit Trisomie 21 baten um Aufnahme in die erste Klasse. Die Familie wohnt in der Nähe und die große Schwester ist schon auf der Michael-Ende-Schule. Da der Junge schon oft an Schulfesten und anderen Aktivitäten teilgenommen hatte, kannte man ihn gut und hatte das Gefühl, er gehöre dazu.