Sie und Stefan Kolbe, mit dem Sie an "Pfarrer" arbeiteten, sagen von sich, nicht an Gott zu glauben. Warum machen Sie als Atheist einen solchen Film, der sehr persönlich zeigt, wie sich angehende Pfarrer mit ihrem Glauben auseinander setzen?
###mehr-artikel### Chris Wright: Als wir für andere Filme in ostdeutschen Dörfern recherchiert haben, waren die Pfarrer gute Ansprechpartner für uns. Sie wissen, wie die Menschen vor Ort ticken, wie deren Mentalität ist. Einerseits haben sie die Außenperspektive, andererseits kennen sie die Menschen sehr gut. Insofern hatten wir schon häufig mit Pfarrern zu tun. Uns hat interessiert: Warum entscheidet sich jemand, Pfarrer zu werden?
Der andere Grund ist ein starkes Interesse an Glaubensfragen. Durch die Arbeit an einer früheren Dokumentation über eine Pfingstler-Familie hatten wir bereits Kontakt mit einem intensiven Glaubensleben. Auch mit den Ambivalenzen: Dieses Sich-Aufgehoben-Fühlen und das Aufgehen in einer Gemeinschaft. Daneben eine Frömmigkeit, die durchaus eine Lebensform vorgibt. Das hat uns gereizt.
Über ein Jahr hinweg haben Sie Vikare im Predigerseminar in ihrem Alltag begleitet. Sie zeigen in Ihrem Film zum Teil sehr persönliche Momente.
###mehr-info### Wright: Alle wussten, dass dieses Jahr im Predigerseminar sehr intensiv wird in der Auseinandersetzung mit sich selbst und dem eigenen Glauben. Natürlich haben sich viele Vikare gefragt: "Was passiert, wenn eine Kamera immer dabei ist?" Vor allem am Anfang gab es Hemmschwellen, von beiden Seiten. Glauben ist etwas sehr Intimes und es ist nicht immer leicht, darüber zu sprechen. Es gab Momente, in denen manche Vikare gesagt haben, dass sie nicht gefilmt werden möchten, zum Beispiel beim Beten. Das ist legitim. Je mehr Zeit wir miteinander verbracht haben, desto größer wurde das Vertrauen. Wir haben mit allen Protagonisten noch Kontakt – in diesem Jahr haben wir so intensiv zusammengelebt, da entstehen Freundschaften.
Gab es dabei auch Schwierigkeiten?
Wright: Nein, Schwierigkeiten nicht direkt, aber Diskussionen durchaus. Wir haben es im Vorfeld immer thematisiert, wenn wir etwas drehen wollten. Einmal ging es um ein gemeinsames Abendmahl und die Frage ob wir auch aktiv mitmachen dürfen. Das hat zu einer Diskussion geführt, vor allem einer der Vikare hatte Bedenken. Bei der Abendmahlsfeier war uns dann auch nicht so wohl dabei, mitzumachen und eine Hostie zu nehmen. Doch der, der im Film so skeptisch zu sehen ist, steht inzwischen anders dazu, er sieht es nicht mehr so eng.
Warum haben Sie sich ausgerechnet für die Lutherstadt Wittenberg als Drehort entschieden?
Wright: Wir hatten in mehreren Predigerseminaren nach einer Genehmigung gefragt, es gab jedoch nur wenig Resonanz. Wittenberg hat zugesagt – das war für den Dreh wahnsinnig schön, eben wegen dieser Geschichte. Wittenberg liegt in der ungläubigsten Ecke ganz Europas, dort sagt etwa 80 Prozent der Bevölkerung, dass sie gar nicht an Gott glaubt. Das macht die Situation für die Menschen, die in dieser Region das Pfarramt anstreben, brisant. Die Vikare fragen sich: Kann ich relevant bleiben für diese moderne Gesellschaft?
Auch in katholischen Orten hatten wir angefragt, aber letztendlich kommt die protestantische Tradition unserem Anliegen näher: diese Auseinandersetzung mit sich selbst und das Hinterfragen des eigenen Glaubens.
"Sie fragen sich: 'Kann ich relevant bleiben für diese Gesellschaft?'"
Vom "Priestertum aller Gläubigen" hat Martin Luther gesprochen. Welchen Eindruck haben Sie in Wittenberg bekommen – stehen angehende Pfarrer Gott näher?
###mehr-links### Wright: Pfarrer sind Menschen, die die gleichen Zweifel haben wie alle anderen Menschen auch. Das darzustellen hat uns gereizt. Der eigene Glaube ist ein Brocken. Ein Brocken an Tradition, Jahrtausende alt. Man steht vor diesem Brocken, man muss sich damit auseinandersetzen, sich daran reiben und irgendetwas formen, was sich selbst entspricht. Das hat mich sehr interessiert. Man konnte sehen: Es geht bei der Auseinandersetzung mit Religion und Glauben nicht um feste biblische Wahrheiten. Vielmehr gibt es diese Tradition, dass alles, was in der Bibel steht, hinterfragt werden darf. Jeder muss für sich selbst bestimmen: Was meine ich, wenn ich von "Gott" spreche? Das passiert in der Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie. Insofern ist "Pfarrer" kein Film nur für Gläubige oder nur für Christen. Er soll alle ansprechen, denn im Laufe eines Lebens beschäftigt sich jeder mit ganz grundlegenden Fragen wie: Was bedeutet mein Leben? Wie gehe ich mit dem Tod um? Wo suche ich Bedeutung und Sinn?
Was nehmen Sie persönlich aus der Arbeit an dem Film mit?
Wright: Seit den Dreharbeiten gehe ich hin und wieder gezielt in einen Gottesdienst – zum Beispiel, wenn ich weiß, dass Freunde oder Bekannte predigen. Aber ich stelle trotzdem fest, dass ich nach wie vor meine Probleme mit der Form der Gottesdienste habe. Sie erreichen mich meistens nicht. Aber mir wurde bewusst, dass die christliche Sprache eine schöne Art ist, über sich selbst, über die Welt, über Fragen, die uns alle bewegen, nachzudenken. Es ist aber auch klar, dass es eine Sprache ist, die nicht mehr auf einer absoluten Wahrheit basiert. Und trotzdem ist es eine Sprache, die viel in einem auslösen kann. Ich kann dem Ganzen durchaus etwas abgewinnen, aber glauben kann ich nicht.