"Wir haben mit 24h Berlin bewiesen, dass man den strengen Programmkörper einer Rundfunkanstalt aufbrechen kann. Man kann über weite Strecken erzählen und viel tiefer eindringen als in einem 90-Minutenfilm", erklärt Regisseur Heise. Warum nun diese Stadt? "Jerusalem ist gleichzeitig so nah und so fern. Ich bin mit Jerusalem in den Erzählungen zu Hause und in der Kirche aufgewachsen. Es löst eine ganze Welt voller Phantasien aus, die man über diese Stadt hat. Und Jerusalem ist eben so ganz anders als Berlin", sagt Heise.
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Jerusalem ist hügelig und voller enger und verschlungener Altstadtgassen. 70 Kamerateams, also mehr als 200 für Außenstehende deutlich zu identifizierende Filmschaffende, waren einen ganzen Tag lang in der 800.000-Einwohner-Stadt unterwegs. Ein Medienereignis also schon bei seiner Entstehung. Trotz des massiven Aufgebots an Kamerateams an nur einem Tag habe niemand den anderen behindert, die Filmemacher seien sich also nicht permanent gegenseitig durchs Bild gelaufen, was im TV-Geschäft als Todsünde gilt. Rund 500 Stunden Drehmaterial kamen zusammen, die auf 24 Stunden zusammengekürzt werden mussten.
Regisseur Volker Heise vergleicht die Dreharbeiten in Berlin mit denen in Jerusalem: "Berlin ist eine klar definierte Stadt, da gibt es zum Beispiel einen Bürgermeister, der von allen akzeptiert wird. Es gibt eine klare Stadtgrenze. In Jerusalem ist das eben nicht so, Jerusalem ist genau das Gegenteil, in Jerusalem ist eigentlich nichts klar, nichts ist sicher."
Orthodoxes Kamerateam
Schon 2012 sollte das Projekt starten, scheiterte aber am Boykott der beteiligten Palästinenser, die befürchteten, die deutschen Filmer würden Ostjerusalem zu wenig in den Blick nehmen und einseitig Partei für Israel ergreifen. Am 18. April 2013 erfolgte der Neustart in paritätisch jüdisch, christlich und muslimisch besetzten Teams. Gedreht wurde vor allem an Orten, wo Touristen normalerweise nicht hinkommen.
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"Für uns war es viel wichtiger, etwa mit der Kamera in die Al Aqsa-Moschee zu kommen. Da darf man als Europäer auch aus Sicherheitsgründen sonst gar nicht hinein. Selbst jüngere Palästinenser dürfen derzeit nicht mal auf den Tempelberg, da die Sicherheitskräfte Unruhen vermeiden wollen", erzählt Thomas Kufus, Geschäftsführer der Produktionsfirma Zero One 24. "Es ist uns gelungen, in eine Thoraschule hineinzukommen oder in das ultraorthodoxe Viertel Mea Shearim." Kufus ist immer noch begeistert.
Normalerweise lassen sich strenggläubige Orthodoxe in ihrem Jerusalemer Wohnviertel nicht einmal fotografieren. Doch da dort ein eigenes ultraorthoxes Kamerateam eingesetzt wurde, habe es keine Schwierigkeiten gegeben.
Gesichter und Geschichten
"24h Jerusalem" ist ein äußerst facettenreiches Bild der heiligen Stadt. Zu sehen ist etwa die heute 90jährige Rentnerin Ruth Bach, die noch rechtzeitig aus Nazi-Deutschland fliehen und 1940 nach Palästina emigrieren konnte. Oder die junge Esther Shimberg, die in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem im Archiv arbeitet und am Kopierer erzählt, wie sie sogar einmal die reichsdeutschen Ausreisedokumente von Albert Einstein in Händen hielt.
Pater Armando Pierucci spielt in der Grabeskirche die Orgel und mahnt um Geduld, weil sich in dem begehrten Sakralbau gleich sechs Denominationen die lukrativen Gottesdienstzeiten gegenseitig streitig machen. Der evangelische Pfarrer Michael Wohlrab will die Friedensglocke wieder zum Klingen bringen und erzählt auf seinem Kirchturm die Geschichte des abenteuerlichen Glockentransportes aus Deutschland.
Müllberge mit Ratten und Schlangen
Filmemacher Andres Veiel hat sich vor allem mit der palästinensischen Seite Ostjerusalems auseinandergesetzt. Es sind Einblicke in die Schattenseiten der Heiligen Stadt. "Ich hatte einen Protagonisten, der bei der UN arbeitet, die die Versorgung für das palästinensische Flüchtlingscamp organisiert. Da gibt es riesige Abfallberge, die nicht weniger werden. Denn es ist ein Gebiet, das ursprünglich für 20.000 Menschen vorgesehen war, in dem aber inzwischen - völlig eingepfercht durch eine Mauer - 80.000-100.000 Flüchtlinge hausen müssen", erzählt Veiel. "Die Abfallentsorgung wird von den Israelis nicht mehr bewerkstelligt und die UNO ist vollkommen überfordert. Dann kommen Ratten und Schlangen. Es ist ein täglicher Überlebenskampf fernab aller Medienberichte."
Er habe in viele Gesichter geschaut, die einfach nur Angst gehabt hätten, sagt Veiel. Nicht etwa vor dem Kamerateam, sondern vor den täglichen Bedrückungen. Und es habe immer wieder gegenseitiges Mißtrauen gegeben, ob in dem Projekt nicht doch zu viel Israel oder eben zu viel Palästina zu sehen sein würde. Doch nicht nur beim Dreh, sondern auch beim Schnitt habe man peinlich genau auf einen gerechten Proporz zwischen Ost- und Westjerusalem, zwischen Juden, Christen und Muslimen geachtet, verspricht Konzeptentwickler und Regisseur Volker Heise.
Keine der im Nahostkonflikt beteiligten Gruppen soll in "24h Jerusalem" an den Pranger gestellt werden. Es geht in der Dokumentation um nichts weniger als um eine authentische und in dieser Dimension und Länge so noch nie da gewesene Momentaufnahme der für die drei monotheistischen Weltreligionen Heiligen Stadt.