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"Und wie hast du es deinen Eltern gesagt?"
Am 26. Juli ist Christopher Street Day in Stuttgart - dieses Jahr vor dem Hintergrund der der Debatte um den Bildungsplan der Landesregierung. Nicht alle sind damit einverstanden, dass in der Schule mehr über Homosexualität gesprochen wird. Gerade im ländlichen, evangelisch-frommen Württemberg ist das Leben für lesbische und schwule Jugendliche immer noch schwer: Wie soll man zu sich stehen, wenn der Glaube und die Neigung sich scheinbar im Widerspruch zueinander befinden?

Seit mehr als 20 Jahren ringen evangelikale und liberale Christen in der württembergischen evangelischen Landeskirche um ihre Haltung zur Homosexualität, zuletzt als es 2010/11 um gleichgeschlechtliche Paare im Pfarrhaus ging. Bisher verläuft die Argumentation am biblischen Zeugnis entlang: Unter Berufung auf die Bibelstellen 3. Mose 18,22 und Römer 1, 26-27 formulieren evangelikale Gemeinden ihre Bedenken gegenüber gleichgeschlechtlichen Beziehungen.

Die Diskussion ist also nicht neu, aber mit der Bildungsplan-Debatte hat sich der Schauplatz von der Kirche in die Schule verlagert, und als Hauptargument wird dabei nicht die Bibel herangezogen, sondern der Schutz der Kinder vor angeblicher "Propaganda" und "Umerziehung". 192.000 Menschen haben die Petition gegen den Bildungsplan der grün-roten Landesregierung unterschrieben.

"Man redet den Jugendlichen ja ein: 'Gott will das nicht'"

Das Jugendnetzwerk Lambda, das lesbische, schwule, trans- und bisexuelle Jugendliche berät, hat zur Bildungsplan-Debatte eine Stellungnahme veröffentlicht. Darin versucht Lambda zunächst, ein Missverständnis aufzuklären: "Es gibt – anders als die Petitionsführenden unterstellen – nicht die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Identitäten." Offenbar muss klargestellt werden, dass die sexuelle Neigung keine Entscheidungsmöglichkeit ist, sondern gottgegeben ist. Es sei "absurd", die "Ausprägung einer nichtnormativen Identität auf eine Stufe mit der Wahl des persönlichen Lebensstils zu stellen", schreibt Lambda. Einzig zum Coming-out könne man sich entscheiden, und dafür ist aus Sicht des Netzwerkes ein "solidarisches, respektvolles, von Akzeptanz geprägtes soziales Umfeld"  hilfreich.

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In den Jugendgruppen, die von Lambda unterstützt und vernetzt werden, können Mädchen und Jungen sich untereinander austauschen - nicht nur, aber auch über Fragen der sexuellen Identität. "Man kann einfach hingehen, auch wenn man noch gar nicht weiß, ob man überhaupt schwul oder lesbisch ist oder bi oder heterosexuell, ist ja egal", sagt Thomas Rathjen, Baden-Württemberger Landesvorstand von Lambda. "Es geht einfach darum, dass man sich unterhalten kann: Was hattest du für Schwierigkeiten? Wie hast du es deinen Eltern gesagt? Es ist ein offener Treff, wo jeder kommen und darüber reden kann. Das ist einfach sehr befreiend."

Die Gegenpetition zum Bildungsplan könne man "eigentlich nur mit Kopfschütteln aufnehmen", sagt der Lambda-Netzwerker. "Sie ist ein Zeichen von deutlicher Ablehnung von Vielfalt und von Akzeptanz der Menschenwürde jedes einzelnen Menschen, dass jeder so ist wie er eben ist. Aber es ist immer noch lange nicht so weit, dass das bei jedem angekommen ist."

Allein das Aufwachsen in ländlichen Regionen sei schon schwer genug, sagt Thomas Rathjen. "Die Jugendlichen nehmen es als gesellschaftlichen Konsens wahr, dass Schwule und Lesben nicht da sind oder wenn sie da sind irgendwie abwertend betrachtet werden. Dann fühlen sie sich eben auch minderwertig, wenn sie merken, dass sie schwul oder lesbisch sind, versuchen, das zu unterdrücken und begegnen sich selbst mit Selbstzweifeln." Ein evangelikales Umfeld verstärke den inneren Konflikt "durch die hohe Institution Gott", hat Rathjen beobachtet. Er selbst ist nicht so aufgewachsen, kennt das Problem aber durch die Kontakte bei Lambda. "Man redet den Jugendlichen ja ein: 'Gott will das nicht, das ist eine Schande vor Gott.' Das ist ganz schlimm für die Jugendlichen, weil sie gar nicht die Gelegenheit haben, sich ihrer selbst bewusst zu werden."

Frommer Glaube und gleichgeschlechtliche Liebe: beides wird gelebt

Gerade Württemberg ist stark vom Pietismus geprägt, einer Glaubensrichtung, in der Bibeltreue und ein gottgefälliger Lebensstil als hohe Werte gelten. "In den evangelikalen Kreisen ist es doch immer noch unbestrittene Lehre, dass Homosexualität überhaupt nicht geht. Ein Gräuel vor Gott", sagt Stéphane Schmid, Gymnasiallehrer in Meßkirch und lange Jahre Leiter der Stuttgarter Zwischenraum-Gruppe. Zwischenraum bietet die homo-, bi-, trans- und intersexuellen Menschen, die ihren pietistisch geprägten Glauben nicht aufgeben wollen, Anlaufpunkte in regionalen Hauskreisen.

Die meisten hier haben in ihren frommen Herkunftsgemeinden denselben Zwiespalt durchlebt: "Es geht ja nicht, dass ich Christ sein will und dann auf einmal diese Seite an mir entdecke. Dass da ein Teil meiner Persönlichkeit nicht so ist, wie ich es eigentlich vom Glauben her denken müsste, wie es sein sollte", erklärt Schmid und ergänzt: "Viele hoffen, dass das vielleicht wieder von allein weggeht." Doch selbstverständlich geht "es" nicht weg. Der Gegensatz zwischen unveränderbarer sexueller Identität und bibeltreuem Glauben treibt viele Jugendliche in Einsamkeit und Selbstzweifel.

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Zwischenraum wird selten von Jugendlichen besucht. Die Teilnehmer sind meist junge Erwachsenen, die die Auseinandersetzung mit ihrer Homosexualität während der Teenagerzeit eher gescheut haben, um in ihren Gemeinden nicht anzuecken. Doch auch bei einem späteren Coming-out ist die Unterstützung durch die Gruppe hilfreich: Persönliche Gespräche mit Seelsorge-Charakter seien hier vor allem gefragt, erklärt Stéphane Schmid. Oft gehe es darum, "wie sie die Vereinbarkeit von Homosexualität und Christsein leben, wie sie das zusammenbringen, man redet einfach über ganz private Dinge". Daneben sind im Zwischenraum Bibelstudium und gemeinsames Gebet selbstverständlich. Frommer Glaube und gleichgeschlechtliche Liebe bilden hier keinen Gegensatz, beides wird gelebt.

Mit der Gegenpetition zum Bildungsplan sowie den Netzdebatten und Demonstrationen dazu sind lesbische und schwule Christen erneut in die Schusslinie geraten. Dort wollten sie nie stehen. Gerade für Jungen und Mädchen, die in der Pubertät ihre nicht-heterosexuelle Identität entdecken, ist die Debatte problematisch. Selbst Zwischenraum - normalerweise sehr zurückhaltend mit politischen Aktionen und öffentlichen Verlautbarungen - hat in der Stuttgarter Gruppe darüber diskutiert und eine Pressemitteilung geschrieben. "Wir glauben [...] keinesfalls, dass der neue Bildungsplan unserer Landesregierung die sexuelle Veranlagung von Jugendlichen beeinflussen oder verändern kann. Wir meinen aber, dass durch Beschäftigung mit der sexuellen Vielfalt im Unterricht Vorurteile abgebaut werden, damit betroffene Jugendliche und Erwachsene sich nicht weiter zu verstecken brauchen", heißt es darin, und weiter: "Wir wünschen uns eine Kirche, die Gottes Liebe zu seinen Geschöpfen als Leitprinzip ihres Handelns und Redens ernst nimmt und eine Schule, in der Jugendliche angstfrei und ohne Ausgrenzung aufwachsen können."

Stéphane Schmid hat die Entwicklungen in Kirche und Schule fest im Blick. Auf die Frage, wie es sich für ihn momentan anfühlt, als schwuler Christ und Lehrer in Baden-Württemberg zu wirken, antwortet er lachend: "Ich denke, das ist eine schöne Aufgabe!" Das echte Leben zählt für Schmid mehr als bedrucktes Papier oder Kommentare im Netz. "Der beste Bildungsplan ist eigentlich", findet der Lehrer, "wenn die Schüler einfach nach und nach in ihrer Umwelt mit der Vielfalt des Lebens konfrontiert werden. Wenn sie mitbekommen: Der Schmid ist schwul und lebt mit seinem Freund zusammen. Das ist ganz normal. Niemand regt sich darüber auf."