Foto: epd-bild / Bernd Bohm
Eine Gruppe Ausreisewilliger mit Kerzen in den Händen bei einer Protestaktion während der Schlussversammlung des Kirchentages 1988 in Halle.
"Kirche für die Schwachen"
Synoden trieben die Wendestimmung in der DDR voran
In der Zeit vor und nach Ostern - das ist jahrzehntelange Tradition - tagen in den deutschen Landeskirchen die Synoden, die Kirchenparlamente. Das war auch so im April vor 25 Jahren in den damals acht Mitgliedskirchen des DDR-Kirchenbundes. Sie wollten nach einem Wort des 1945 von den Nationalsozialisten ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer "Kirche für andere" und "Kirche für die Schwachen" sein.
03.04.2014
epd
Karl-Heinz Baum

1989 stellten sie sich noch deutlicher als zuvor an die Seite der Menschen und ihrer Nöte und sprachen besonders die heiklen Themen in der DDR an - beispielsweise die Mauer, die seit dem August 1961 das freie Reisen über die Grenze zum Westen verhinderte. Reisen durften nur Rentner, auch Invalidenrentner und Dienstreisende. Zugelassen waren Reisen in dringenden Familienangelegenheiten, zu bestimmten Geburtstagen oder Anlässen wie Geburt, Heirat oder schwerer Krankheit von Verwandten. Jugendliche unter 18 Jahren durften dagegen gar nicht reisen.

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So hatte sich in der DDR mit der Zeit eine Zwei-Klassengesellschaft gebildet: Menschen, die reisen durften, wenn die Staatssicherheit nicht Einspruch einlegte, und die "Bunte" oder "blaue Fliesen" hatten, wie DDR-Bürger die D-Mark nannten und Menschen ohne Westverwandte, denen Westreisen verwehrt waren und die nur auf Umwegen an Westgeld kamen. Die zweite Gruppe hatte es zwar mit der Karriere leichter, aber das befriedigte längst nicht mehr.

So wurde im Frühjahr 1989 in der DDR auf den Synoden der Ruf nach Westreisen für Menschen ohne Westverwandte immer lauter. Solche Reisen lehnte die DDR inzwischen vor allem wegen dann entstehender finanzieller Probleme ab. Dabei war nicht zu übersehen, dass unter denen, die Ausreiseanträge in die Bundesrepublik stellten, also die DDR ganz verlassen wollten, immer mehr ohne Westverwandte waren.

Jugendtourismus in den Westen möglich machen

So bot Berlin-Brandenburgs Bischof Gottfried Forck an, die Kirche könne mit ihren Westverbindungen diesen Menschen preiswerte, wenn nicht gar kostenlose Quartiere bieten. Man könne deutsch-deutsche Gruppenreisen zwischen Kirchengemeinden organisieren. So schlug die Synode vor, Besuche zu Freunden bei besonderen Anlässen sowie den Jugendtourismus in den Westen zu ermöglichen.

Ähnliche Beschlüsse fassten in jenen Apriltagen auch andere Landessynoden in der DDR. Sachsens Synode nahm besonders die anstehende DDR-Kommunal-"Wahl" am 7. Mai ins Visier. In der "Demokratie ohne Gegenstimmen", wie sich die DDR zuweilen nannte, wussten oder ahnten viele Menschen, dass die SED selbst Ergebnisse der Einheitswahl noch fälschte. Der Partei ging es um Ergebnisse von fast hundert Prozent als Beweis der Zustimmung zu ihrer Politik.

Wahrhaftig wählen gehen

So forderte Sachsen bei der Wahl "wahrhaftig und verantwortlich" zu entscheiden. Jeder solle in die Wahlkabine gehen oder der Wahl ganz fernbleiben. In der Wahllokalen der DDR gab es zwar Wahlkabinen, aber der Gang dahin glich immer noch einer Mutprobe. Die SED organisierte Hausgemeinschaften, die geschlossen zur Wahl gingen und auf den Gang in die Kabine verzichteten. Gültig als "Ja"-Stimme war bereits ein gefalteter Stimmzettel ohne Kreuz. Was sie vom "Zettelfalten" (DDR-Volksmund) hielt, schrieb die Synode den Herrschenden ins Stammbuch: "Eine Wahl ist erst geheim, wenn die Wähler verpflichtet sind, die Kabine zu benutzen."

Zudem warnten die Sachsen vor "Fehleinschätzungen" bei der Auszählung der Stimmen. Freiwillige Wahlhelfer hatten erlebt, dass Wahlleiter einfach einen Packen Stimmzettel nahmen und offiziell postulierten: "Diese Leute wollten 'Ja' wählen." Tatsächlich war es in der DDR nicht klar und deutlich formuliert, wie eine gültige "Nein"-Stimme auszusehen habe und welche Stimme "ungültig" sei. Die exakte Regelung glich sozusagen einem Staatsgeheimnis.

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Die Synode betonte daher, die DDR-Führung müsse vor der Wahl mitteilen, welche Stimmen als "Ja", welche als "Nein" und welche als "ungültig" bewertet werden. Das Kirchenparlament stärkte zudem jenen Bürgerrechtlern den Rücken, die die Ergebnisse in den Wahllokalen notieren und selbst zusammenzählen wollten. Sie erwarteten erheblich mehr Nein-Stimmen als das offizielle Ergebnis verkünden würde. Die Synode erklärte: "Jeder kann an der Auszählung der Stimmen teilnehmen!" Damit wurde der Gegenwind im Zeitalter von Perestroika und Glasnost für die SED immer rauer.