Foto: epd/Niko Tavernise /Paramount Picture
Filmkritik: "Noah"
Die Bibel als Action-Kino: Darren Aronofskys Sintflut-Epos "Noah" ist die erste einer ganzen Reihe von Bibelverfilmungen, die demnächst ins Kino kommen. Russell Crowe spielt darin Noah als Vegetarier und ersten Öko der Erdgeschichte.
02.04.2014
epd
Frank Schnelle

So manch einer in Hollywood wird sich verwundert die Augen gerieben haben, als im März 2013 die Zuschauerzahlen der ersten Folge der amerikanischen TV-Serie "Die Bibel" veröffentlicht wurden. 13 Millionen Zuschauer sahen den Piloten, und das im Pay-TV. Eine Quote wie ein brennender Dornbusch: Gehet hin und leset die Bibel, sprach sie zu den Studio-Bossen, denn die strotzt nur so vor Superhelden und Spektakeln.

Und es ist an der Zeit, sie neu zu erfinden. Namhafte Regisseure wie Ridley Scott, Will Smith, Paul Verhoeven, Ang Lee, Mel Gibson wollen demnächst versuchen, dem Kino mit Geschichten aus der Heiligen Schrift verloren gegangene Marktanteile zurückzuerobern. Den Auftakt der neuen Bibelwelle macht Darren Aronofsky ("The Wrestler", "Black Swan"), der angeblich seit Teenager-Tagen davon träumt, die Sintflut auf die Leinwand zu bannen.

Sein "Noah" könnte ein Vorgeschmack auf eine entscheidende Charakteristik des neuen Trends sein: Anders als in den Epen der 50er und 60er Jahre geben sich einige der aktuellen Adaptionen gar nicht erst den Anschein des Historischen und setzen auch nicht auf religiöses Pathos, sondern nehmen sich die Freiheit, die Geschichten um Fantasy-Elemente zu bereichern und sie somit in die Nähe der Comic-Blockbuster zu rücken.

In "Noah" sind das beispielsweise die "sechsarmigen Engel". Sie werden während Vorspanns etabliert als in Fels gefangene Lichtgestalten und toben als steinerne Quasi-"Transformers" durch den Film - erst als vermeintliche Bösewichte, dann als loyale Bewacher von Noahs Baustelle.

Trotzdem ist "Noah" alles andere als ein Comic-Film. Aronofsky geht hier durchaus mit heiligem Ernst zur Sache und verfolgt mindestens drei erzählerische Strategien. Die erste - das Spiel mit tricktechnischem Pomp und fantastischer Überzeichnung - mag dem Kommerz geschuldet sein. Die zweite, interessantere aber läuft dem fast zuwider. Sie besteht darin, Noah (Russell Crowe) als Gottes ersten Öko zu interpretieren, als einen Mann, der Nachhaltigkeit und Bescheidenheit predigt und mit seiner Familie das Leben eines Aussteigers führt. Er ist im Einklang mit der Natur, und selbstverständlich ernährt er sich vegetarisch.

Die Welt als verwüstete Zivilisation

Sehr aktuell und zeitgemäß ist diese Figur also, ein Mahner und Warner, der uns genauso anspricht wie seine Zeitgenossen. Aronofsky inszeniert die Welt als verwüstete Zivilisation, die ihren Zenit überschritten hat und unter den Folgen von Fortschritt und Ausbeutung ächzt.

Die Apokalypse steht nicht nur bevor, sie liegt eigentlich bereits hinter den Menschen, und fast wirkt es, als sei dies ein futuristischer Film: mit Noah als Mad Max, der sich gegen postindustrielle Barbaren, angeführt vom hübsch grauenvollen Ray Winstone, zur Wehr setzen muss. Vielleicht, sagt Aronofsky, schauen wir hier gar nicht in unsere Vergangenheit, sondern in unsere Zukunft.

Aronofskys dritte Strategie setzt diesem modernen Ansatz ein eher konservatives Bild entgegen: das des gestrengen, gottesfürchtigen Kreationisten Noah. Seiner Familie erzählt er, wie Gott die Welt in sechs Tagen erschuf, und Aronofskys Kamera illustriert diese Welt-Werdung mit spektakulären Zeitrafferbildern und Trickmontagen. Das sieht zwar toll aus, ist in seiner Rückwärtsgewandtheit aber genauso fragwürdig wie Noahs Wandel vom milden und einfühlsamen Vater zum rasenden Henker der Menschheit.

Aber immerhin: Im letzten Akt, dem Kammer-Endspiel auf der Arche, verweigert sich Aronofsky der Hollywood-Konvention und verzichtet weitgehend auf physische Konfrontation. Lieber widmet er sich einem wahrhaft gewaltigen moralischen Konflikt.

USA 2014. Regie: Darren Aronofsky. Buch: Darren Aronofsky, Ari Handel. Mit: Russell Crowe, Jennifer Connelly, Ray Winstone, Anthony Hopkins, Emma Watson, Logan Lerman. Länge: 138 Min. FSK: ab 12.