Mama Melanie lächelt ihren Sohn an, schnalzt mit der Zunge, kitzelt sanft seinen Bauch. "Er hat gequietscht", ruft Florian. Auch die anderen Fünftklässler staunen. Sie sitzen artig an ihren Tischen um Anton und Melanie herum. Anton ist gerade erst 15 Wochen alt. "Warum quietscht Anton?", fragt Babywatching-Gruppenleiter Christoph Moormann aus Osnabrück. "Weil er sich freut?", fragt Florian etwas unsicher.
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Der Kinder- und Jugendpsychiater Karl-Heinz Brisch aus München hat das "Babywatching" entwickelt und als Marke unter dem Titel "B.A.S.E." schützen lassen: Kinder beobachten, wie Mutter oder Vater und ihr Säugling miteinander umgehen. Dadurch sollen sie selbst Mitgefühl und Achtsamkeit entwickeln. Das Programm richtet sich an Kindergärten, Grundschulen und auch weiterführende Schulen.
Im besten Fall hätten Kinder feinfühlige, empathische Eltern: "Dann wächst eine sichere Bindung, und sie werden auch selbst empathiefähig", sagt der Psychiater. Leider machten viele Kinder diese Erfahrung weder zu Hause noch in den Kindertagesstätten. Dort seien die Erzieherinnen für zu viele Kinder zuständig.
Studien: Empathiefähigkeit gefördert
Beim Babywatching lernen die Kinder, sich besser in die Emotionen und Motivationen von Mutter oder auch Vater und Kind einzufühlen. Dazu werden sie durch die Fragen der ausgebildeten Gruppenleiter angeleitet. Studien zeigten, dass auf diese Weise die Empathiefähigkeit der Kinder gefördert werde und dass sie weniger aggressiv und hyperaktiv reagierten: "Sie beginnen, diese Fähigkeiten auf alltägliche Situationen mit ihren Freunden zu übertragen, indem sie sich feinfühliger, sozialer und weniger ängstlich untereinander verhalten."
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Einmal pro Woche kommen Melanie und Anton in die Schule. Babywatching steht an der Förderschule für soziale und emotionale Entwicklung seit drei Jahren in jeder fünften Klasse auf dem Stundenplan. Die Schüler stammen vielfach aus schwierigen familiären Verhältnissen, haben Gewalt und Vernachlässigung erlebt. 20 Minuten lang beobachten sie, wie Melanie Anton wickelt, stillt, auf dem Arm wiegt, mit ihm redet, spielt oder ihm beim Schlafen zuschaut. Ein ganzes Jahr lang begleiten die Kinder so Antons Entwicklung.
Christoph Moormann fragt sie immer wieder nach ihren Eindrücken, Empfindungen und Gefühlen. Anton fängt plötzlich bitterlich zu weinen an. Er hat sich erschreckt. Mama Melanie nimmt ihn hoch und wiegt ihn sanft im Arm, bis er sich beruhigt. "Wie würdet ihr euch fühlen, wenn ihr so getröstet würdet?", fragt der Gruppenleiter: "Gut, weil man weiß, dass man geschützt ist", antwortet Paul. Er verweigert sich meistens dem Unterricht. Aber seit Melanie und Anton kommen, taut er langsam auf. "Das Klima in einer Klasse verbessert sich nachhaltig", sagt Lehrerin Annika Vossiek, und Moormann ergänzt: "Ich hoffe, diese Erfahrung macht die Jungen und Mädchen stark, bis sie selbst einmal Eltern werden."
Louis wird still, wenn das Baby da ist
Psychiater Brisch startete 2004 mit einer Kindergarten-Gruppe in Oberbayern. Mittlerweile ist das Programm mit ersten Projekten sogar in Österreich, Neuseeland, Großbritannien und den Niederlanden verbreitet. "Babywatching beugt aggressiven Verhaltensstörungen vor und wäre deshalb für alle Schulen und Kitas wünschenswert", sagt Brisch.
Auch bei Louis merken die Lehrer deutliche Fortschritte. Er stört sonst den Unterricht und malträtiert seine Mitschüler. Nur beim Babywatching ist er immer ganz still. "Anton hat mich angeguckt", ruft er plötzlich und lacht über das ganze Gesicht. Dann sagt er leise: "Das hat er noch nie gemacht. Aber jetzt weiß er, da ist noch ein Junge."