"Afrika ist sehr großzügig. Es hat in der Vergangenheit unzählige Leute eingeladen, von ihrem Gott, ihrem Glauben und ihrem Wissen zu berichten. Und Afrika hat viel gelernt!" Und dieses Gelernte will Afrika jetzt zurückgeben. Ein ziemlich ironisches Statement des renommierten Kurators Simon Njami zur afrikanischen Kolonialgeschichte. Und gleichzeitig macht es augenzwinkernd klar, aus welcher Haltung heraus er die neue Ausstellung im Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK) konzipiert hat: Afrika kann selbstbewusst Konzepte präsentieren, die einen ganz neuen Blick auf ureigenstes europäisches Kulturgut eröffnen. Und schließlich geht es auch um ein Schlüsselwerk der Renaissance-Literatur: Dante Alighieris "Göttliche Komödie".
Dante beschreibt dort seine Jenseitswanderungen über drei Stationen: Die Hölle, das Fegefeuer und schließlich den Himmel. Dabei verbindet er zentrale Gedanken des Christentums mit Glaubensvorstellungen aus der Antike.
Aber: Sind diese Glaubenskonzepte wirklich eindeutig kulturell oder gar geografisch zuzuorden? Diese These bestreitet die Ausstellung vehement. Sie geht vielmehr davon aus, dass gerade die Frage nach dem Jenseits universell und auf viele Kulturen zu übertragen ist. "Diese Konzepte gehen alle Menschen an!" betont Dr. Susanne Gaensheimer, Direktorin des MMK, zur Eröffnung. Und auch Kurator Njami ist überzeugt: "Es geht um etwas wahrhaft Universelles. Etwas, das uns alle, unabhängig von unserem Glauben oder unseren Überzeugungen, im Innersten berührt: Unser Verhältnis zum Jenseits. (…) Mit anderen Worten, es geht um unser Verhältnis zum Leben und also auch zum Tod."
Gegenwartskunst muss global sein
Und so entstand vor rund vier Jahren die Idee, dass Künstlerinnen und Künstler aus verschiedenen religiösen Hintergründen die Elemente der Göttlichen Komödie Interpretieren sollten. Dies wiederum traf sich mit den Bestrebungen des MMK, einen universelleren, globalen Begriff von "Gegenwartskunst" zu etablieren: Die bisherige Fokussierung auf Kunst aus Nordamerika und Europa sollte aufgegeben und zugunsten eines auf andere Kontinente geweiteten Blicks aufgegeben werden, so Direktorin Gaensheimer.
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Für die Ausstellung nun werden alle drei Stockwerke des Museums genutzt und in die drei Stationen des Jenseits unterteilt: Im Erdgeschoss der Himmel/das Paradies, im Stockwerk darüber das Fegefeuer, durch das man schließlich ganz oben in die Hölle gelangt – verkehrte (Unter-)Welt also. Bespielt werden diese Ebenen von über 50 Künstlern mit allen möglichen Mitteln: Malerei, Fotografie, Skulptur, Videoarbeiten, Installationen und Performances.
So kann man bei der Eröffnung ganz unten im Himmel zum Beispiel den fantasievoll kostümierten 72 Jungfrauen begegnen, die in der islamischen Vorstellungswelt existieren – eine Choreografie der in Marokko geborenen Künstlerin Majida Khattari.
Im Fegefeuer weiter oben trifft man dann zum Beispiel auf die zwei lebensgroßen kopflosen Gentlemen, die eine europäische Duellsituation des 19. Jahrhunderts nachstellen. Die Installation "How To Blow Up Two Heads at Once" von Yinka Shonibare bricht die Szene allerdings durch die bunten, scheinbar traditionellen afrikanischen Stoffe der Kostüme. Sie stammen auch tatsächlich aus Westafrika, werden dorthin aber schon seit über 100 Jahren von Dänemark und den Niederlanden exportiert, wo sie gefärbt wurden – und zwar mit Mustern und Ornamenten, die aus Indonesien stammen.
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Sie eignen sich so hervorragend zu einem Verweis auf das Anliegen von Kurator Njami: Zu zeigen, dass nicht nur Begriffe wie "Himmel" und "Hölle" hinterfragt werden müssen, sondern auch Identitäten. Was macht einen "Afrikaner" wirklich aus bzw. was ist eigentlich ein "Afrikaner"?
Aber auch sehr viel weniger spektakuläre, trotzdem nicht minder beeindruckende Arbeiten finden sich hier, wie zum Beispiel "Immaculé" von der Marokkanerin Lamia Naji. Dabei handelt es sich um eine Abfolge von sechs Fotografien, die entstanden, nachdem ihr Lebensgefährte starb. Zu sehen sind Details aus ihrem leeren Atelier, das sie zu dieser Zeit neu bezog. Mit Licht und Schatten beschreibt sie ihre Trauerarbeit, in der sie schließlich die Hoffnung formuliert, am Ende wieder "in Gottes Hände" zurück zu kehren.
Die Hölle, das sind die anderen
Die Hölle schließlich, das sind die anderen, wie es Sartre formulierte. Zumindest erinnert man sich daran, wenn man im Obergeschoss die Arbeit "Convoi Royal" von Jems Robert Koko Bi von der Elfenbeinküste sieht: Ein aus gebranntem Pappelholz geschnitztes Flüchtlingsboot, darin aufgestapelt die schwarzen Köpfe der Migranten, die auf ihrer unfreiwilligen Reise ständig vom Tod begleitet werden.
Aber die Hölle, das kann man durchaus auch selbst sein. So versinnbildlicht es die Tunesierin Mouna Karray mit ihrer Fotoserie "The Rope". Auf den Bildern zieht sie an einem Seil – das auf der anderen Seite wiederum von ihr selbst gehalten wird. Im gleißenden Licht, das die Szenerie überstrahlt, begegnet sie ihren eigenen Ängsten und Qualen.
Kunst mit geballter Faust
In der Installation "In a Pure Land" des gemeinsam arbeitenden Künstlerduos Mwangi Hutter schließlich bewegen sich drei verhüllte Figuren in einer überlebensgroßen Projektion auf schwarzem Tuch, die allegorisch für Orte wie Flüchtlingslager und Müllhalden stehen. Auf dem Boden davor erscheint ein kreisförmiger Text über das Loslassen. Gebildet ist er aus kleinen, länglichen Salzteigbrocken, die auf ganz einfache Art und Weise geformt wurden: durch das Ballen der Faust.
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Ist man am Ende des Ausstellungsbesuchs also derart "durch die Hölle gegangen", erinnert man sich schließlich auch wieder an die Worte von Kurator Njami, dass die Göttliche Komödie eigentlich vielmehr ein Drama sei. Schließlich ginge es in ihr permanent um Liebe und Kampf. Die Kunst hingegen, so fordert er, habe die Verantwortung, Grenzen einzureißen und um jeden Preis Vorurteile zu vermeiden. Nur so könne die Welt "lesbar" gemacht werden, meint er. Und eben vielleicht ja auch das Jenseits.