iStockphoto
TV-Tipp des Tages: "Kein Entkommen" (ZDF)
TV-Tipp des Tages: "Kein Entkommen", 24. März, 20.15 Uhr im Zweiten
Vordergründig erzählt "Kein Entkommen" von einem jener Vorfälle, wie sie immer wieder mal durch die Medien gehen: Jugendliche begehen am helllichten Tag offenbar völlig unmotiviert eine Gewalttat.

In diesem Fall treffen die Tritte, Schläge und auch ein Hieb mit einer Eisenstange eine Frau, die an einer einsam gelegenen Haltestelle auf den Bus wartet. Im weiteren Verlauf der Handlung beobachtet der Film, wie Anna (Anja Kling) mit der Tat und ihren Folgen umgeht. Sie fasst einen fatalen Entschluss, der schließlich in eine weitere Tragödie mündet: Ehemann Micha (Benno Fürmann) hat den beiden Kindern erzählt, Anna habe einen Unfall mit dem Fahrrad gehabt, und sie bleibt bei dieser Version. Die Täter sind noch am selben Abend gefasst worden, aber vor Gericht sagt Anna aus, sie könne sich an nichts erinnern.

Im Grunde ist "Kein Entkommen" ein Lehrstück: Das Drehbuch von Stefanie Veith und Matthias Tuchmann (nach einer Idee von: Katrin Milhahn und Antonia Rothe-Liermann) erzählt davon, wie sich die unterdrückte Aggression ein Ventil sucht, mit dem man gar nicht rechnet. Getreu dem klassischen Muster, dass sich familiäre Unwuchten oft in Form von Verhaltensauffälligkeiten bei den Kindern äußern, führt Annas Versuch, den erlittenen Schmerz in sich einzuschließen, am Ende zu einer Tragödie: Ihr 15jähriger Sohn Jan (Matti Schmidt-Schaller, wie seine Schwester Petra ein Kind von "Soko Leipzig"-Star Andreas Schmidt-Schaller) ahnt, dass die Geschichte vom Unfall eine Lüge ist, und führt schließlich aus, was sich die Mutter insgeheim wünscht.

Vorzüglicher Schauspielerfilm

Andreas Senn beschränkt sich bei seiner Inszenierung weitgehend darauf, den Figuren zuzuschauen. Geschickt verzögert der Film die eigentliche Tat. Nach einem siegreichen Hockeyspiel bleibt die Kamera (Sonja Rom) bei Micha und den Kindern; der Überfall wird später in Form von Rückblenden nachgereicht. Die Bilder geben dabei Annas Perspektive wieder, so dass man die Gewalt nicht zuletzt dank der Tonspur (Musik: Fabian Römer) förmlich am eigenen Leib verspürt; vor dem letzten Tritt auf die am Boden liegende Frau droht ihr ein Junge noch, ihr mit einem Messer die Augen auszustechen. Während die beiden anderen Täter zu Haftstrafen verurteilt werden, kommt ausgerechnet dieser Junge, Marco (Julius Nitschkoff), mit Sozialstunden davon. Fortan vernachlässigt Anna ihre Arbeit als Michas Partnerin in der gemeinsamen Firma wie auch ihre Kinder, um Marco in seiner Berliner Plattenbausiedlung zu beobachten. In der Hoffnung, den Jungen wegen einer weiteren Straftat anzeigen zu können, macht sie sich an seine Freundin Chrissi (Ruby O. Fee) ran, die er offenbar regelmäßig schlägt. Als Chrissi eines Tages den Spieß rumdreht und bei Anna auftaucht, ist Jan auf der Stelle fasziniert von diesem Wesen aus einer ihm völlig unbekannten Welt.

Einzige dramaturgische Schwachstelle der Geschichte ist Annas Entschluss, sich abzukapseln, denn das Drehbuch bleibt die Erklärung dafür schuldig. Auch wenn sie sich wünscht, es möge alles wie vorher sein: Alpträume und Panikattacken halten die Erinnerungen an das Ereignis ohnehin wach; Anna empfindet die Welt nicht mehr als sicheren Ort. Andererseits ist die Figur bei Anja Kling in den besten Händen, weil sie glaubwürdig verkörpert, dass die seelischen Wunden längst nicht so rasch verheilen wie die physischen Folgen des Überfalls. Ähnlich großartig ist Benno Fürmann, der allein dank seiner Blicke vermittelt, wie tief Micha verletzt ist, weil seine Frau ihn nicht ins Vertrauen zieht. Die vergleichsweise kleinen, aber für das Gesamtbild wichtigen Nebenrollen der besten Freunde (Stefanie Stappenbeck, Maximilian Grill) sind nicht minder gut besetzt. Da Senn auch die Kinder ausgezeichnet geführt hat, ist "Kein Entkommen" vor allem ein vorzüglicher Schauspielerfilm.