Ja, das gibt es: Gisela Kulik aus Cottbus arbeitet seit 47 Jahren in ein und demselben Betrieb, ohne Unterbrechung. Weder hat Familienarbeit sie abgehalten, noch Arbeitslosigkeit ihre Berufstätigkeit unterbrochen. Allerdings musste die 61-Jährige Ingenieurin mit Schwerpunkt Elektrotechnik betriebsbedingt und unfreiwillig vor 15 Jahren bei der ABB AG mit Sitz in Cottbus in Teilzeit gehen. Wenn sie 63 Jahre alt wird, hat sie 49 Jahre lang gearbeitet und darf früher in Rente gehen. Ganz ohne Abschläge.
Arbeitslosigkeit wird angerechnet
So sieht es der Gesetzentwurf für das Rentenpaket vor, der am 1. Juli in Kraft treten soll: Arbeitnehmer, die 45 Beitragsjahre nachweisen, können mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen. Dabei werden auch Zeiten der Arbeitslosigkeit, in denen Arbeitslosengeld bezogen wurde, angerechnet. Langzeitarbeitslosigkeit allerdings wird ausgeschlossen.
###mehr-artikel###"Ich will gerne mal zu den zählen, die Glück haben", sagt Gisela Kulik, "und meine restliche Lebenszeit und meine vier Enkel genießen." Sie findet es gut, wenn Menschen, die schon als Jugendliche gearbeitet haben, belohnt werden. Noch sortiert sie ihre Papiere, um sich bald bei der Rentenkasse zu informieren, "wie es konkret" für sie aussieht und "ob es irgendeinen Pferdefuß gibt". "Mensch, mach das!", raten ihr Kolleginnen und Kollegen, die selbst gerne in den Genuss der Rente mit 63 ohne Abschläge kommen würden. Aber die meisten bekommen die 45 Beitragsjahre nicht zusammen.
Eigentlich müsste es korrekterweise Rente 63 plus X Monate heißen: Denn ab 1. Juli profitieren nur Arbeitnehmer der Jahrgänge 1949 bis 1952 von dem neuen Rentengesetz, ab dann erhöht sich die Altersgrenze um zwei Monate pro Jahr.
Erntehelfer schon als Zehnjähriger
46 harte Arbeitsjahre liegen hinter dem Dreher Edgar Domachowski aus Eisenhüttenstadt, geboren 1951. Inoffiziell noch mehr: "Ich musste als Zehnjähriger damals in der DDR schon für die LPG Rüben, Kartoffeln und Getreide ernten", erzählt er. "Mein Körper ist verbraucht, ich will einfach nicht mehr. Nach vorne kann man nicht blicken, wer weiß wie lange man noch lebt." Edgar Domachowski kann wohl ab Oktober 2014 mit 63 Jahren ohne Einbußen Rentner werden. Als Betriebsrat bei der Ferrostahl Maintainance erlebt er bei den Kollegen "durchweg eine positive Resonanz zur Rente mit 63". Selbst die Jahrgänge 1953 bis 1955 störe es nicht, dass sie nicht mit glatten 63 Jahren gehen könnten, sondern etwas später. "Vor allem die Schlosser, die am Hochofen arbeiten, sind fix und fertig."
"Das neue Rentenpaket ist unserer Meinung nach ein richtiges und wichtiges Signal", sagt Eva Maria Welskop-Deffaa vom Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und zuständig für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. "Ich rechne aber nicht damit, dass alle, die mit 63 in Rente gehen dürften, das auch wirklich tun. Wenn die zu erwartende Rente zu niedrig ausfällt, werden sie länger arbeiten."
Viele Anfragen zum Thema
Die Gewerkschafterin berichtet, dass bei ver.di sehr viele Anfragen zur Rente mit 63 eingehen würden. "Das Thema berührt sehr. Wir spüren, dass die Menschen sich darüber freuen, dass ihre Lebenssituation ernst genommen und ihre Lebensleistungen anerkannt werden. Sicher löst dieser Wurf nicht alle Probleme, aber es ist ein Versuch der Neuorientierung."
Ähnlich äußert sich Olivier Höbel, Bezirksleiter der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen: "Es geht darum, die Lebensleistung derer anzuerkennen, die bereits 45 Jahre lang Beiträge eingezahlt haben. Wer früh anfängt, soll auch früher aufhören dürfen." Einen massenhaften Missbrauch der Neuregelung, wie ihn Kritiker heraufbeschwören, hält Oliver Höbel für "unwahrscheinlich". Für Beschäftigte bestünden keine finanziellen Anreize, vor der Rente zwei Jahre in die Arbeitslosigkeit zu gehen. Das Arbeitslosengeld I liege deutlich niedriger als das vorherige Arbeitseinkommen, auch mindere die Arbeitslosigkeit die Rente.