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Am Ball fürs Leben lernen
Mädchenprojekte helfen dem Frauenfußball in Brasilien auf die Sprünge
Dribbeln statt Drogen: In den Armenvierteln von Rio de Janeiro sollen Fußballprojekte Mädchen von der Straße holen. Beim Training in dem WM-Land Brasilien geht es dabei nicht nur um Abseits, Freistoß und Elfmeter, sondern auch um Prostitution, Missbrauch und Kinderarbeit.
22.03.2014
epd
Andreas Behn

Fußball ist nicht nur Männersache: Auch in Brasilien, Gastgeber der diesjährigen Männer-WM, kicken immer mehr Frauen. Einige von ihnen gehören zu den besten Fußballerinnen der Welt. Dabei ist Fußball weit mehr als nur die beliebteste Sportart des Landes. Vielen Mädchen ebnet das Ballspiel den Weg zu mehr Selbstbewusstsein und einem besseren Leben.

Aus den Armenvierteln

Favela Street Girls heißt eines der zahlreichen Projekte, die Mädchen in den Armenvierteln mit Fußballbegeisterung von der Straßen locken sollen. "Wir wollen den Kindern in der Favela helfen, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen", sagt Roxanne Hehakaija. Die 29-jährige Holländerin war einst Profifußballerin. Jetzt hat sie ihr Faible für Streetsoccer entdeckt und leitet ein Mädchenprojekt. "Fußball kann den Mädchen helfen, gemeinsam eine Sache anzupacken, besser untereinander zu kommunizieren und Verantwortungsgefühl zu entwickeln", ist Hehakaija überzeugt.

###mehr-artikel###In drei Armenvierteln von Rio de Janeiro spielen die Mädchen von Favela Street Girls Fußball. Bangu, Vila Cruzeiro und Favela do Lixão liegen fern ab der Touristenstrände und des legendären Maracanã-Stadions, in dem das WM-Endspiel stattfinden wird. Riesige Ansiedlungen ärmlicher Behausungen, wo es nur wenige Transportmittel und kaum Freizeitangebote gibt. Oft dominiert der Drogenhandel das öffentliche Leben. Für viele Kids eine erste Beschäftigungsmöglichkeit - abenteuerlich und sogar eine lukrative Einnahmequelle.

"Es ist wichtig, den Mädchen neue Perspektiven aufzuzeigen", erklärt Ex-Profi Hehakaija. Deswegen sei die Talentsuche einer der Schwerpunkte des Projekts. Wer beim Kicken auf der Straße oder holprigen Erdplätzen auffällt, wird besonders gefördert, um eine Vermittlung an lokale Vereine zu ermöglichen.

Zwei neunjährige Mädchen eines Mädchenfußballteams im brasilianischen Sao Luis bereiten sich aufs Training vor.

"Das Schönste wäre, eine neue Marta zu entdecken. Sie war für mich ein großes Vorbild", erinnert sich Hehakaija. Die Stürmerin Marta Vieira da Silva ist Brasiliens bekannteste Spielerin. Fünf Mal wurde sie vom Weltfußballverband FIFA zur Weltfußballerin des Jahres gewählt, zuletzt 2011.

Bei Favela Street Girls geht der Traum vom großen Aufstieg direkt in Richtung Ajax Amsterdam. Der holländische Traditionsclub sponsert das Projekt, gemeinsam mit Sportunternehmen wie Adidas. Kein großer Player der kommerziellen Kickerwelt kommt heute darum herum, sich mit sozialem Engagement und am liebsten mit der Nachwuchsbranche Mädchenfußball zu schmücken. Doch Hehakaija ist realistisch: "Zwar stehen wir im Kontakt mit der Frauenmannschaft von Ajax. Doch das ist Zukunftsmusik."

Kickende Frauen gibt es noch nicht lange in Brasilien. Während sich in England der Frauenfußball schon im Ersten Weltkrieg großer Beliebtheit erfreute, dauerte es in Südamerikas größter Fußballnation bis 1958. In dem Jahr, in dem die brasilianischen Männer ihren ersten Weltmeistertitel holten, spielten erstmals zwei Frauen-Teams öffentlich gegeneinander.

Zu weiteren Gastspielen eingeladen

Mit dem Benefiz-Frauenmatch in Araguari, einer kleinen Stadt im Staat Minar Gerais, sollten Spenden für eine Schule gesammelt werden. Es war ein voller Erfolg, und die kickenden Mädels wurden bald zu weiteren Gastspielen eingeladen. "Überall wurden wir um Autogramme gebeten," erinnert sich Darci de Deus Leandro, heute 70 Jahre alt. "Das ganze Spiel über schickten uns die Männer Handküsse, wir wurden umjubelt und umgarnt. Aber immer sehr respektvoll."

Das Experiment währte nicht lange. Die katholische Kirche protestierte gegen die "unmoralische Sportart" und der Nationale Sportrat verbot 1959 Frauenfußball in ganz Brasilien. Erst Anfang der 70er Jahre wurde der Bann aufgehoben.

###mehr-links###Auch das deutsche Kinderhilfswerk Plan unterstützt brasilianische Mädchen in Fußballprojekten. Im Staat Maranhão, im besonders armen Nordosten des Landes, finanziert Plan Deutschland kickende Mädchen und junge Frauen in 16 Gemeinden. Mehr als 30 Mädchenteams wurden bereits gegründet. Im Training geht es aber nicht nur ums Laufen, Kicken und Toreschießen: Auch Themen wie Gleichberechtigung, Sexualität, Kinderarbeit, Prostitution und Drogen werden im Unterricht angesprochen, damit die Mädchen mit mehr Selbstbewusstsein aufwachsen.

"Durch das gemeinsame Kicken sind die Mädchen viel aktiver geworden", freut sich die Mutter einer Teilnehmerin. Der Fußball habe ihnen geholfen, sich von Drogen fernzuhalten und den richtigen Weg einzuschlagen. "Starke Mädchen durch Fußball" lautet das Motto des Plan-Projekts - eine von vielen Erfolgsgeschichten des Fußballs in Brasilien.