Kommentar
Illustration: evangelisch.de/Simone Sass
Es fehlt eine "Ethik des Genug"
Uli Hoeneß ist das jüngste Beispiel dafür, dass es an einer Ethik des "Genug" fehlt. Die Steuersünder müssen den Umgang mit Verantwortung gegenüber der Gesellschaft neu lernen.

"Genug" ist ein dehnbarer Begriff. Wann hat jemand genug? Wer seinem Kind keine neuen Schuhe kaufen kann, wenn sie durchgelaufen sind, hat nicht genug. Wer in die sozialen Sicherungssysteme des Staates fällt, hat definitiv nicht genug.

Das Statistische Bundesamt gibt das durchschnittliche Nettoäquivalenzeinkommen in Deutschland mit 1.835 Euro im Monat pro Person an. Davon lässt sich nicht genug Geld zur Seite legen, um überhaupt erfolgreich Steuern zu hinterziehen. Kann ich privat für die Rente vorsorgen, um im Alter selbstbestimmt leben zu können? Kann ich mit meiner Familie in den Urlaub fahren oder reicht es dafür nur jedes dritte Jahr? Kann ich genug Geld sparen, um mein Auto zu reparieren oder eine neue Waschmaschine nicht auf Raten kaufen zu müssen? Kann ich mir einen neuen Laptop oder Fernseher leisten?

Manches davon ist vielleicht ein kleiner Luxus. Aber von solchen Alltagsfragen nach dem "Genug" ist Uli Hoeneß meilenweit entfernt, ebenso wie andere prominente Steuerhinterzieher, die Millionen in der Schweiz oder Liechtenstein hatten - von der Vorzeige-Feministin Alice Schwarzer über Tennislegende Boris Becker bis zum ehemaligen Postchef Klaus Zumwinkel.

Verantwortung neu lernen

Offenbar leben diese Leute in einer Welt, in der sie nicht mehr abhängig sind von den Leistungen anderer - von der Großzügigkeit eines Chefs, von der gesetzlichen Krankenversicherung, von dem Zustand öffentlicher Verkehrsmittel. Das Gefühl für das gesellschaftliche Fundament von Solidarität, das dem Zusammenleben in unserem Staat zugrunde liegt, scheint ihnen verloren gegangen zu sein. An seine Stelle tritt ein Ich-bezogenes Hamstern oder - wie im Falle Uli Hoeneß - ein unverantwortlicher, beinahe willkürlicher Umgang mit Geld. Solidargemeinschaft ist ein Fremdwort.

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Wird man dabei erwischt, folgt  ein "mea culpa", das kurze Auftauchen in der Opferrolle und eine Strafzahlung, und alles ist wieder gut. Immerhin: Im Fall Uli Hoeneß hat das Gericht mit dreieinhalb Jahren Haft ein deutliches Signal gesetzt, dass das so nicht geht. Nach der Urteilsverkündung hat Hoeneß selbst gesagt, die Steuerhinterziehung sei "der Fehler meines Lebens" gewesen. Vielleicht ist die Botschaft doch angekommen.

Denn es gibt ja Gegenbeispiele. Der VW-Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn setzte sich selbst dafür ein, die Boni zu begrenzen, die ihm zugestanden hätten, ganz im Sinne des neuen ökumenischen Sozialworts: Markt darf eben nicht ohne Moral gedacht werden. Winterkorn bekam für 2012 trotzdem noch 14,5 Millionen Euro - ganz klar immer noch mehr als "genug".