"Das ist ein großes Ding, das wir da anstoßen", sagte Nikolaus Schneider. Nichts weniger als eine "grundlegende gesellschaftliche Transformation" forderte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Freitag in Frankfurt am Main, als er gemeinsam mit dem Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, das neue Sozialwort der beiden großen Kirchen vorstellte. Auf "bedrohliche Veränderungen" wie Globalisierung, Wirtschaftskrisen und den Klimawandel sei zu reagieren.
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Vor 17 Jahren hatten EKD und Bischofskonferenz sich erstmals in einem gemeinsamen Papier zur Wirtschafts- und Sozialpolitik geäußert. Das viel beachtete Sozialwort erteilte neoliberalen Tendenzen eine Absage und betonte die vorrangige Option für die Armen. "Das war ein Meilenstein", sagte Schneider.
Nun folgt die sogenannte Sozialinitiative. "Gewinnmaximierung um jeden Preis" dürfe niemals eine "moralisch akzeptierte Handlungsmaxime sein", lautet eine der Kernaussagen: "Insbesondere die Finanzmärkte müssen sich wieder in Richtung einer dienenden Rolle wandeln."
Ziel des Vorstoßes sei nicht ein unmittelbarer Einfluss auf die Arbeit der großen Koalition, stellten Zollitsch und Schneider klar. "Wir wollen anregen, stärker über den Tag hinaus zu denken", unterstrich Erzbischof Zollitsch. Doch natürlich wünsche man sich, dass Anstöße aus der Sozialinitiative in Berlin aufgenommen werden, sagte Schneider.
Forderung nach gesetzlichem Mindestlohn
Breiten Raum nimmt in dem Papier mit dem Titel "Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft" die Aufarbeitung der jüngsten Finanzmarkt- und Währungskrisen ein. Dabei kommen die Kirchen zu dem Schluss, dass nur eine "verantwortlich gestaltete Marktwirtschaft" geeignet sei, "den Wohlstand hervorzubringen, der erforderlich ist, um für alle Menschen ein Leben in Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit zu ermöglichen". Nicht die kurzfristige Steigerung der Aktienkurse, sondern der nachhaltige Unternehmenserfolg müsse Maßstab für die Bewertung von Unternehmen und die Entlohnung der Manager sein: "Boni ohne Mali darf es nicht mehr geben."
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Mit Blick auf die Staatsverschuldung warnen die Kirchen vor sozialen Verwerfungen in EU-Krisenländern. Zur Konsolidierung der Staatsfinanzen wird in dem Sozialwort auch empfohlen, Steuerbetrug entschieden zu bekämpfen. Dazu beitragen können aus Sicht der Kirchen ein automatischer Informationsaustausch steuerrelevanter Daten, die Bekämpfung von "Verdunkelungsoasen" sowie eine Unternehmensbesteuerung, die Gewinnverschiebung verhindert.
In Bezug auf den Arbeitsmarkt wird gefordert, dass sich prekäre Beschäftigungsverhältnisse nicht verfestigen, geringfügige Beschäftigung und Werkverträge nicht missbraucht werden, um den Arbeitskräftebedarf kostengünstig zu decken. Unterstützt wird in diesem Zusammenhang auch ein gesetzlicher Mindestlohn zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Kritik: "merkwürdig schwach" und "weichgespült"
Erste Reaktionen aus der Politik auf das Papier fielen verhalten aus. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und die Vorsitzende des Sozialausschusses im Bundestag, Kerstin Griese, (beide SPD) erklärten für den Arbeitskreis der Christinnen und Christen in der SPD, sie hätten sich "klarere Worte und zukunftsweisendere Überlegungen gewünscht". Die "Option für die Schwachen in der Gesellschaft", die gerade auch von Papst Franziskus immer wieder beschworen wird, wirkt nach Auffassung der SPD-Christen "merkwürdig schwach".
Noch deutlicher wurde der katholische Sozialethiker Friedhelm Hengsbach: Papst Franziskus habe diejenigen in den Blick genommen, die am Rande stünden wie prekär Beschäftigte oder alte Menschen in Armut. Dagegen sei das kirchliche Sozialwort "weichgespült".
Lob kam dagegen vom Bundesvorsitzenden des CDU-Sozialflügels CDA, Karl-Josef Laumann. Das Kirchenpapier bestärke den christlich-sozialen Flügel: "Auch wir wissen, dass Wirtschaft den Menschen dienen muss." Die Initiative sei eine berechtigte Mahnung an die Politik, "mehr auf die zu schauen, die es schwer haben: Langzeitarbeitslose, Geringverdiener, von Altersarmut bedrohte Menschen".