Vermutlich gibt es eine ganze Menge "Wilsberg"-Fans, die an den Krimis aus Münster nicht zuletzt den trockenen Humor von Steuerprüfer Ekki Talkötter schätzen. Sie kommen diesmal auf ihre Kosten, weil der Titelheld viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, um Zeit für die Mördersuche zu haben. Ekki (Oliver Korittke) ist dafür um so stärker betroffen: Immer wieder ist er bei der hübschen Kollegin Yvonne abgeblitzt; und jetzt liegt sie tot im Innenhof des Finanzamts. Für die Polizei ist das ein klarer Fall von Freitod, aber für Eki steht außer Frage, dass die Kollegin einer großen Sache auf der Spur war und deshalb sterben musste.
Korruption im öffentlichen Dienst
Es ist ohnehin einiges faul im Finanzamt Münster: Wer bei den falschen Leuten allzu viel Hingabe zeigt, wird vom Chef zum Amtsarzt geschickt und unter fadenscheinigen Gründen in die Poststelle abgeschoben. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs: Offenbar stecken alle wichtigen Männer und Frauen der Stadt unter einer Decke, und allein der wackere Ekki wagt es, den Sumpf trocken zu legen. Dass Wilsberg (Leonard Lansink) ihm diesmal keine große Hilfe ist, hat gleichfalls finanzielle Gründe: Der ständig klamme Antiquar ist diesmal noch pleiter als sonst und hat 5.000 Euro Schulden bei einer Internet-Bank, deren Inkasso-Beauftragter deshalb alle seine Bücher pfändet. Daraufhin klaut Wilsberg zwar den Lieferwagen, aber das löst das Problem naturgemäß nur kurzfristig. Zu allem Überfluss entpuppt sich Alex (Ina Paule Klink) auch noch als Anwältin der Gegenseite.
Mit der Korruption im öffentlichen Dienst greift das Drehbuch (Georg Piller, Tilmann Warnke) ein durchaus heißes Eisen auf. Martin Enlen bleibt natürlich dem kriminalkomödiantischen Vorzeichen der Reihe treu, aber mit etwas anderen Nuancen hätte die Geschichte auch einen veritablen Thrillerstoff abgegeben. Damit es dazu keinesfalls kommt, gibt es immer wieder Slapstick-Einlagen, die eigentlich gar nicht nötig wären. Außerdem sind einige Figuren klischeehaft auf die Spitze getrieben, was auch Folgen für die Darsteller hat; Udo Schenk zum Beispiel muss Ekkis Chef ähnlich eindimensional anlegen wie Dutzende anderer Bösewichter, die er im Lauf der Zeit in so vielen Reihen und Serien verkörpert hat. Immerhin ist die Gegenseite gut besetzt, wobei der Reiz dieser Rollen darin besteht, dass das Ausmaß ihrer Verstrickungen bis zum Schluss offen bleibt. Fest steht nur, dass von der Unternehmerin (Kirsten Block) über den Bankchef (Hubertus Hartmann) bis zum Leiter der Oberfinanzdirektion (Rainer Bock) alle nach der gleichen Devise handeln: Eine Hand wäscht die andere. Davon profitiert auch die Polizei: Unregelmäßigkeiten bei der Ausstattung des Sportvereins mit Fitnessgeräten werden auf dem kleinen Dienstweg bereinigt.
Kriminalistisch lebt "Mundtot" nicht zuletzt von der Frage, was denn die zweifelsfreie Ermordung der Finanzbeamtin (übrigens sehr schade, dass Eva-Maria Reichert so früh verschwinden muss) mit den diversen Gefälligkeiten und Bestechungen zu tun hat; aber noch mehr profitiert der Film davon, dass Oliver Korittke seinen Ekki mal von einer anderen Seite zeigen kann. Ein Duckmäuser ist der wackere Steuerprüfer ohnehin nicht, aber meist bevorzugt er ja die List, um seine Ziele zu erreichen. Diesmal jedoch zeigt er Zähne und zettelt einen offenen Widerstand an.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die schönsten Szenen des Films sind trotzdem die skurrilen Momente, wenn sich Wilberg bei der Amtsärztin (Leslie Malton) als Ekki ausgibt, was später dazu führt, dass die Dame ausgerechnet Kommissar Overbeck (Roland Jankowsky) dienstunfähig schreibt. Die beiden Gespräche fallen auch optisch aus dem Rahmen, weil die Bildgestaltung (Philipp Timme) ansonsten recht unauffällig ist. Und wer hätte gedacht, dass man dank Thomas Loibls feinem Spiel mal Mitgefühl für einen Geldeintreiber empfinden würde, weil dem zunehmend verzweifelten Inkasso-Mann immer wieder die Pfändungsmasse durch die Lappen geht.