Schild: "Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen"
Foto: epd-bild / Rolf Zöllner
Exponat aus der Ausstellung "Leben nach Luther. Eine Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses" in Berlin
Licht aus im Pfarrhaus
"Von Montag bis Samstag geschlossen?" Unter diesem provokanten Titel fand im Deutschen Historischen Museum zu Berlin die Abschluss-Diskussion der Ausstellung "Leben nach Luther" statt, in der die 500jährige Geschichte des evangelischen Pfarrhauses beleuchtet wurde. Hat das klassische evangelische Pfarrhaus noch eine Zukunft?

Für die Pfarrerstochter, Journalistin und Schriftstellerin Christine Eichel ist der Pfarrberuf bis heute faszinierend - üben ihn doch Menschen aus, die sich in einer Zeit metaphysischer Obdachlosigkeit dazu entschließen, Gott zu dienen, wie sie sagt. Damit habe der Pfarrberuf etwas Anachronistisches.

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Eichel hat in langen Interviews die Berufssituation evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer untersucht und darüber ein Buch geschrieben. Auch wenn immer mehr Mitglieder ihren Gemeinden den Rücken kehren und man heute nicht mehr ohne weiteres von Volkskirchen sprechen kann, so sei das Pfarrhaus vor allem auf dem Lande immer noch eine wichtige Institution, in der es sich zu leben und zu arbeiten lohne. "Beruf und Leben so zu durchmischen, kann man auch als etwas sehr Glückhaftes empfinden. Wenn man sich in den Kosmos des Dorfes einfügt, hat man Teil an Geschichten, an menschlichen Biografien, an Schicksalen, man ist Gesprächspartner", sagt Eichel.

Darin besitze der Pfarrberuf bis heute sein Alleinstellungsmerkmal. Keinem anderen Menschen werde so viel Vertrauen entgegengebracht wie dem Pfarrer oder der Pfarrerin. Gerade im Pfarrhaus gehe es um Multifunktionalität: "Man ist eben nicht der professionelle Psychologe, sondern ein Gespräch schließt auch mal mit einem Vater unser ab. Diese spirituelle Kraft hat doch kein anderer Beruf."

Längst nicht jeder Theologiestudent will Pfarrer werden

In den annähernd 17.000 evangelischen Pfarrhäusern in Deutschland arbeiten und leben heute noch rund 14.000 evangelische Theologinnen und Theologen. Doch in den nächsten Jahren rollt eine große Pensionierungswelle durch die Landeskirchen. Ausreichender Nachwuchs ist nicht in Sicht. Gab es Mitte der 1980er Jahre noch rund 12.000 Theologiestudierende, so sind es heute nur noch knapp 2.300.

Pfarrer leiden häufiger an Burn-out als der Durchschnitt der Bevö?lkerung. Die Abgrenzung zwischen Beruf und Privatleben ist schwierig, und immer mehr Manager-Aufgaben sind zu bewältigen.

Und längst nicht jeder und jede stud. theol. möchte nach dem Studium ins Pfarrhaus, allein schon wegen der fehlenden Freizügigkeit, weiß der Münchner Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München Friedhelm Wilhelm Graf. "Es gibt immer noch Landeskirchen, die nicht bereit sind, einen nationalen Stellenmarkt für Theologen zu schaffen. Und der Beruf ist im Verhältnis zu anderen akademischen Berufen nicht besonders gut bezahlt", beklagt Graf.

So gilt auch im 21. Jahrhundert immer noch das jahrhundertealte Landeskirchen-Prinzip. Vikarin oder Vikar und anschließend Pfarrerin und Pfarrer kann man nur in der jeweiligen Heimatkirche werden. Jeder Wechsel in eine andere Landeskirche ist kompliziert und muss erst von den jeweils aussendenden und aufnehmenden Landeskirchenämtern genehmigt werden. So kommt es, dass die wenigen noch verbliebenen Theologiestudierenden längst nach anderen Arbeitgebern Ausschau halten. Sie gehen etwa in die Medien- und Werbebranche oder in die Personalentwicklung großer Konzerne. "Wir erleben einen massiven braindrain von guten Theologen in andere Berufe. Es ist nicht mehr so, dass man als Theologe mit einem guten theologischen Examen zum Arbeitgeber Kirche geht", warnt Graf. Die Landeskirchen böten jungen Menschen kaum Anreize, sich auf das Berufsfeld Pfarrer einzulassen. Nur in Gymnasien Werbeflyer für das Theologiestudium zu verteilen, reiche da kaum aus, sagte Graf.

Die klassischen Pfarrfamilien gibt es kaum noch

Die Verantwortlichen in den Landeskirchenämtern und Konsistorien verharren zum Teil noch immer in Denkmustern vergangener Jahrhunderte. So schrieb die Württembergische Landeskirche einst Stipendien aus, auf dass zumindest einer der Pfarrerssöhne wieder Theologie studiere und alsbald wieder in den evangelischen Gemeindedienst eintrete. 

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Der Beruf des Pfarrers sollte also weiter vererbt werden. "Es gab ganze Pfarrerdynastien im protestantischen Deutschland. Das hat sich seit den 1960er Jahren signifikant geändert. Sehr viele Theologiestudierende sind nun die ersten überhaupt in ihrer Familie", weiß der Münchner Theologe Graf.

Die klassischen Pfarrerfamilien, die verlässlich über Generationen die Pfarrhäuser bewohnten, sind Vergangenheit. Auch gibt es schon lange nicht mehr die klassische Rollenaufteilung, in der der Mann predigt und die Pfarrfrau die Orgel spielt und den Kindergottesdienst leitet. Seit rund 50 Jahren werden auch Frauen ordiniert. Heute sind rund ein Drittel aller Pfarrstellen weiblich besetzt.

Mehr Management und weniger Theologie

Besorgniserregend aber sei dabei, dass die Scheidungsrate unter evangelischen Theologinnen und Theologen signifikant hoch ist. Vielleicht eine Folge davon, dass in vielen Pfarrhäusern kaum eine Trennlinie zwischen öffentlich und privat, Arbeit und Feierabend besteht. Im Pfarrhaus brennt in der Regel immer das Licht und stets wird geklingelt, weil Gemeindeglieder permanente Erreichbarkeit erwarten. Eine Belastung, der längst nicht alle Ehen und Familien standhalten.

Pfarrerinnen und Pfarrer sind dabei immer weniger Seelsorger und immer mehr Manager ihrer Gemeinden. Da geht es um Bauausschüsse, Anträge, Gemeindekirchenratssitzungen, Haushaltsplanungen und und und. Alles Aufgaben, für die Theologinnen und Theologen nicht ausgebildet sind. Wenn dann noch eine Gemeinde nach einer wirtschaftlich erzwungenen Fusion 10 bis 12 oder noch mehr Predigtstätten umfasst, ist eine Überforderung schnell gegeben.

Friedhelm Wilhelm Graf beklagt gleichzeitig, dass in den Pfarrhäusern das Bildungsniveau abnehme. "Wir erleben tendenziell so etwas wie eine Entintellektualisierung dieser Berufsrolle. Theologie spielt im Selbstverständnis vieler Pfarrer so gut wie keine Rolle mehr. Es gibt zahlreiche Berichte von Vikaren, denen im Predigerseminar gesagt wird, sie sollten jetzt erst einmal alles das vergessen, was sie an akademischer Theologie gelernt haben", berichtet Graf.

Unterschiedliche Berufsbilder in der Uckermark oder in Berlin-Mitte

Der Berliner Bischof Markus Dröge glaubt trotz der düsteren Analyse daran, dass auch künftig Pfarrhäuser vor allem auf dem Lande mit Leben erfüllt sein werden. Die Gemeinden und ihre Hauptamtlichen müssten sich eben genau überlegen, was sie sich gegenseitig bieten und eben auch zumuten können. Insofern werde auch von montags bis samstags in Pfarrhäusern das Licht brennen, aber längst nicht mehr in allen. Es komme auf intelligente und individuelle Lösungen an. Der Landpfarrer aber, der über Jahrzehnte treu und tapfer seinen Dienst tut, gehört wohl endgültig der kirchengeschichtlichen Vergangenheit an.

"Vor 10 Jahren haben wir ein Heft herausgegeben, 'Das Pfarrbild'. Heute  können wir das gar nicht mehr herausgeben, es gibt nicht mehr das Pfarrbild. Es gibt verschiedene Pfarrbilder, ja es gibt verschiedene Berufe. Es ist ein anderer Beruf, wenn ich in der Uckermark Pfarrer bin oder in Berlin-Mitte. Es sind ganz andere Fähigkeiten gefragt. Und dann werden sich Pfarrerinnen und Pfarrer auf bestimmte Stellen bewerben, weil sie sagen, das ist genau das, was ich brauche", meint Bischof Markus Dröge.