Herr Wiesinger, Sie verkörpern in einem neuen Dokudrama Christian Wulff. Ist es schwierig, jemanden zu spielen, der so wenig Charisma hat?
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Kai Wiesinger: Es war allen wichtig, die Figur blass anzulegen, aber genau das eröffnete mir auch die Chance, die Figur so minimalistisch und subtil zu spielen, wie es eben geht – und das kam mir sehr entgegen. Bei Wulff geht es ja eben nicht um großes Gebrülle, Ausraster oder sonstige Auffälligkeiten, sondern darum, einen eher zurückhaltenden Menschen darzustellen. Es gibt ja welche, die malen mit Öl, manche mit Spraydosen und manche mit Aquarell.
Und zu welcher Fraktion gehört der Ex-Bundespräsident?
Wiesinger: Aquarell.
Was ist Ihnen an Wulff besonders aufgefallen?
Wiesinger: Die unglaubliche Gefasstheit, die er an den Tag gelegt hat, gerade auch bei der Rücktrittserklärung. Wenn man sieht, was da hinter den Kulissen abgegangen ist, wie hoch der Druck war, unter dem er stand, und wie mit ihm ungegangen wurde, dann ist diese Gefasstheit schon beeindruckend.
"Es geht darum, sich in diesen Menschen, den man spielt, wirklich hineinzuversetzen"
Wie spielt man jemanden, der unter einem so immensen Druck steht?
Wiesinger: Als Schauspieler versuche ich, jeden Augenblick, den ich darstelle, wirklich wahrhaftig zu ergreifen. Das hat viel mit Offenheit zu tun, und das gilt natürlich auch in diesem Fall. Es geht darum, sich in diesen Menschen, den man spielt, wirklich hineinzuversetzen.
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Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?
Wiesinger: Ich habe mir natürlich so viel angeschaut und gelesen, wie ich dazu bekommen konnte. Aber das Entscheidende war für mich das Gespräch mit Regisseur Thomas Schadt, der auch das Drehbuch geschrieben hat. Hintergrundwissen ist durchaus sinnvoll, aber als Schauspieler ist für mich natürlich das Drehbuch entscheidend.
Sie haben sich die für Wulff charakteristische leicht gebeugte Haltung angeeignet...
Wiesinger: Angeeignet ist das falsche Wort, ich habe mir nicht die ganze Zeit vorgesagt: Kai, jetzt lass mal die Schultern hängen. So etwas passiert einfach, wenn man sich intensiv mit einem Menschen und einer Rolle beschäftigt. Was ich immer im Kopf hatte, war, was mein Vater während der Amtszeit von Christian Wulff über ihn gesagt hat, und zwar zu einem Zeitpunkt, als ich natürlich noch gar nicht ahnen konnte, dass ich ihn einmal spielen würde. Er sagte: "Schau mal, wie alt der Mann in so kurzer Zeit geworden ist." Eine sehr treffende Beobachtung, die mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist.
Wie haben Sie die entscheidenden 68 Tage, um die es im Film geht, und den Rücktritt Wulffs damals erlebt?
Wiesinger: Ich habe das als große Tragödie empfunden. Plötzlich ist in ganz Deutschland eine aggressive Stimmung entstanden, die dann zu diesem Rücktritt geführt hat. Natürlich hat er sich selber da rein manövriert, das kann man ja nicht anders sagen, er hat sicher einiges falsch gemacht. Mit welcher Gnadenlosigkeit dann aber bestimmte Medien zugeschlagen haben, fand ich schon erschreckend. Da sind Grenzen überschritten worden, so sollte man nicht miteinander umgehen. Die Würde des anderen sollte schon geachtet werden.
"Es ging mir darum, dem Menschen Wulff gerecht zu werden"
Tut Ihnen Christian Wulff leid?
Wiesinger: Das möchte ich so aus der Hüfte heraus nicht beantworten, weil es für mich als Schauspieler überhaupt nicht darum geht. Für mich ging es bei dem Film darum, einen solchen Menschen künstlerisch zu interpretieren und zu zeigen, was alles hinter verschlossenen Türen stattgefunden haben mag. Es ging mir darum, dem Menschen Wulff gerecht zu werden und ihn nicht in irgendeiner Art zu bewerten. Ich will mich nicht an platter Stimmungsmache beteiligen.
Das Ganze ist gerade zwei Jahre her – ist der Abstand nicht ein bisschen kurz für ein solches Dokudrama?
Wiesinger: Im Gegenteil, das ist ja gerade das Spannende daran. Wir versuchen ja weder Schuld zuzuweisen noch fällen wir Urteile. Der Film hält nur einen Spiegel hin und wirft Fragen auf, von denen wir ja gar nicht alle beantworten können. Es geht im Kern darum herauszufinden, wie wir in unserer Gesellschaft miteinander leben wollen.
Wäre es Ihnen lieber gewesen, die Geschichte als Satire zu erzählen, wie es im Film über Karl-Theodor zu Guttenberg gemacht wurde?
Wiesinger: Nö, die Form des Dokudramas passt in diesem Fall gut, finde ich. Ich liebe ja die Zwischentöne und das Leise, und von daher bin ich sehr dankbar, dass ich Wulff so spielen durfte.