Blutzucker messen, Kompressionsstrümpfe anziehen, Medikamente austeilen: Routiniert erledigt Hang Le Thi am Morgen ihre Aufgaben. Seit Januar absolviert die 23-jährige Vietnamesin im evangelischen Alten- und Pflegeheim Leonhard-Henninger-Haus in München ihren Praxisblock der Ausbildung zur Altenpflegerin. Als erste wartet heute Leopoldine Luise Paulus, 91 Jahre alt. Gut gelaunt wendet sich Hang der Pflegebedürftigen zu, hilft ihr beim Duschen, frisiert ihr Haar. "Sehen wir uns später beim Mittagessen, Frau Paulus?", fragt sie augenzwinkernd, streichelt der alten Dame den Arm und hilft ihr vom Rollstuhl ins Pflegebett.
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Hang Le Thi ist eine von 100 Vietnamesinnen und Vietnamesen, die seit Herbst 2013 in deutschen Altenpflegeeinrichtungen statt der gängigen dreijährigen eine zweijährige Ausbildung zur Altenpflegefachkraft machen. Konzipiert wurde das Pilotprojekt von der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die auch die Entwicklungshilfeprojekte der Bundesregierung ausführt. Ziel ist es, den Fachkräftemangel in der Altenpflege durch Auszubildende aus anderen Ländern zu mildern.
Laut Experten müssen allein bis 2025 bis zu 150.000 zusätzliche Pflegekräfte gefunden werden. Das Programm wird vom Bundeswirtschaftsministerium mit rund einer Million Euro gefördert, neben Bayern beteiligen sich auch Baden-Württemberg, Berlin und Niedersachsen.
"Ich rede mit Händen und Füßen"
Die 22 Auszubildenden in München werden in einer Projektklasse der Evangelischen Pflegeakademie ausgebildet, wie Geschäftsführer Gerhard Prölß vom kirchlichen Träger "Hilfe im Alter" berichtet, der zur Inneren Mission gehört. Außerdem bekommen sie vier Stunden Deutschunterricht pro Woche. Angestellt sind sie bei kirchlichen und privaten Trägern und dem Roten Kreuz.
Hang Le Thi wohnt mit sieben weiteren jungen Auszubildenden aus Vietnam in einer von zwei Wohngemeinschaften im Münchner Stadtteil Obersendling. Zu ihrem Arbeitsplatz sind es nur wenige Gehminuten.
"Als wir vor fünf Monaten nach Deutschland kamen, hatten wir Angst, dass hier alles sehr teuer wird", erzählt die junge Frau, die zuvor in Hanoi drei Jahre als Krankenschwester gearbeitet hat. Die Kosten für die Unterbringung würden jedoch vom Träger übernommen. Sie sieht die Ausbildung als große Chance. Aber trotzdem, sagt sie, habe sie oft "starkes Heimweh". Skype, Facebook und Telefon sind ihre einzigen Verbindungen nach Hause.
Die größte Herausforderung ist für Hang Le Thi die deutsche Sprache. Sechs Monate lang hatte sie schon am Goethe-Institut in Hanoi Deutsch gelernt. "Trotzdem ist es im Alltag manchmal schwer, alles zu verstehen", sagt sie. Hinzu kommt: Viele Bewohner im Alten- und Pflegeheim leiden unter Sprachstörungen. Mit Humor und Freundlichkeit versucht Le Thi ihren Pflegealltag zu meistern. "Die Bewohner und die Kollegen helfen mir, wenn ich ein Wort nicht kann. Oder ich rede mit Händen und Füßen."
Alle gewinnen
Ein Integrationsprogramm schult die Teilnehmer schon im Heimatland für den deutschen Berufsalltag - "da geht es von den Feinheiten des deutschen Sozialversicherungssystems bis hin zu praktischen Herausforderungen wie dem Bedienen von Fahrkartenautomaten", sagt Dominik Ziller, Leiter der Geschäftseinheit Migration bei der GIZ. Wichtig sei zudem die Anerkennung der ausländischen Abschlüsse. "Ohne diese Anerkennung können die ausländischen Fachkräfte nur als Pflegehelfer arbeiten und verdienen weniger Geld."
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"Bei unserem Vermittlungsprogramm gewinnen alle", urteilt Ziller. "Die Pflegebedürftigen in Deutschland, die Pflegekräfte aus dem Ausland und auch das abgebende Land." Die Teilnehmer würden nur aus solchen Ländern rekrutiert, in denen ein Überangebot an Fachkräften bestehe. Aus Deutschland überwiesen sie dann Geld nach Hause, um ihre Familien zu unterstützen und bei einer Rückkehr in die Heimat könnten sie mit ihren neu erlernten Kompetenzen einen wichtigen Beitrag zum Aufbau der Altenpflege leisten.
Seniorin Paulus, die seit fünf Jahren im Leonhard-Henninger-Haus in München wohnt, freut sich, wenn die neue Auszubildende Hang Le Thi zu ihr kommt. Gemeinsam liest die 91-Jährige mit der jungen Vietnamesin Zeitung oder erzählt ihr von ihren Söhnen, Enkeln und Urenkeln. "Ich genieße den Kontakt zu ihr und bin sehr zufrieden", sagt Paulus. "Für die Bewohner ist der interkulturelle Austausch mit den Vietnamesen eine Bereicherung", schwärmt auch Heimleiter Frank Chylek. Die Auszubildenden aus Vietnam würden als überaus freundlich und offen erlebt und seien sehr respektvoll im Umgang.
Hang Le Thi will nach Abschluss der Ausbildung ihre Familie in Hanoi besuchen. Danach hat sie vor, als Altenpflegerin in Deutschland zu arbeiten. "Wir investieren in die Leute und würden sie auch gerne langfristig als Mitarbeiter bei uns halten", sagt Geschäftsführer Prölß. Bisher hätten alle vietnamesischen Auszubildenden die Probezeit geschafft. "Unter ganz regulären Bedingungen. Das ist eine große Leistung."