Die Faszination Venedigs resultiert nicht zuletzt aus dem Kontrast zwischen Mythos und Verfall: Die "Serenissima" stirbt, innerlich wie äußerlich, und Donna Leon schaut ihr mit den Brunetti-Romanen dabei zu. Die TV-Adaptionen im Auftrag der ARD-Tochter Degeto mögen nicht ganz so morbide sein wie die Vorlagen, aber gerade dank Hauptdarsteller Uwe Kockisch ist der Gegensatz zwischen Schein und Sein auch in den Filmen offenkundig.
In seinem neunzehnten Fall, "Auf Treu und Glauben", muss der Commissario wegen des Mordes an dem Gerichtsdiener Fontana seinen Urlaub abbrechen und ins drückend heiße Venedig zurückkehren. Alsbald stoßen er und sein treuer Vasall Vianello (Karl Fischer) auf eine ganze Reihe Mordverdächtiger. Das Opfer war heimlich homosexuell, weshalb sich die Ermittler zunächst in der Schwulenszene umschauen. Mindestens ebenso gute Motive wie ein Anwalt (Stephan Grossmann), der unglücklich in Fontana verliebt war, hätte allerdings eine korrupte Richterin (Katja Weizenböck): Der Gerichtsdiener hatte penibel aufgelistet, welche Prozesse die Dame zugunsten der Angeklagten verschleppt hat. Dem Publikum bietet Autor Holger Joos dagegen einen Nachbarn (Stipe Erceg) als Täter an: Der aufstrebende Banker Mauricio Fulgoni hatte hinter dem Rücken der Gattin (Jeanette Hain) ein Verhältnis mit Fontana; er säubert zu Beginn die Tatwaffe, eine kleine Statue, und stellt sie auf ihren Platz zurück.
Krimispannung, Urlaubsbilder und menschliche Zwischenspiele
Die Leser der Romane wissen, dass die Filme mitunter bloß auf Motiven Donna Leons basieren. Die Handlung wird reduziert und vereinfacht, die Soap-Elemente werden betont, damit die Reihe ihren seriellen Charakter behält. Andererseits macht gerade die Mixtur aus Krimispannung, Urlaubsbildern und allzu menschlichen Zwischenspielen den Charme der Filme aus. Für die Humoresken sorgt regelmäßig der Vice-Questore, den viele andere Schauspieler zum Pausenclown degradieren würden. Dank der Verkörperung durch Michael Degen ahnt man, dass Patta im Grunde um die eigene Lächerlichkeit weiß, sich aber verzweifelt um einen Rest an Würde bemüht. Diesmal macht Brunettis Chef quasi Ferien im Präsidium, weil ihn die Gattin in Norwegen wähnt, er aber nicht allein in Urlaub fahren wollte. Das ärgert vor allem die entzückende Elettra (Annett Renneberg), die sich auf ruhige Wochen im Büro gefreut hatte.
"Auf Treu und Glauben" ist der siebzehnte Brunetti-Film von Sigi Rothemund, und zumindest die atmosphärischen Impressionen kann sein Stammkameramann Dragan Rogulj längst auch ohne den Regisseur drehen; auf Dauer gleichen sich die Kapiteltrenner mit ihren touristischen Aufnahmen der diversen Sehenswürdigkeiten zwangsläufig. Andererseits sind die Filme das Ergebnis durchdachter bildgestalterischer Kompositionen. Typisches Beispiel für die handwerkliche Sorgfalt ist ein Szenenwechsel, bei sich die Kamera diskret vom trauernden Anwalt zurückzieht, um sich nach dem Schnitt mit der gleichen fließenden Bewegung dem Banker zu nähern.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Donna Leons Kritik an der Korruptheit des italienischen Beamtentums wird in den Verfilmungen zwar nur noch nuanciert dargeboten, zeigt sich aber, wenn man so will, im Gegensatz zwischen den pompösen Fassaden und der verfallenden Bausubstanz. Außerdem ist Brunetti auch dank der Verkörperung durch Uwe Kockisch längst zum Inbegriff von Integrität und Anstand geworden. Mögen die Leser der Romane angesichts der Freiheiten, die sich die Drehbuchautoren bei ihren Adaptionen nehmen, manches Mal den Kopf schütteln: Kockisch ist gerade auch dank seines feines Gespürs für Humor immer wieder ein guter Grund, sich auf die Filme einzulassen.