Foto: steko7 / photocase.com
Ein Birkenwäldchen. "Draußen mussten wir uns an Bäume lehnen", erinnert sich der heute 41-jährige Schmidt. Kinderpornografische Fotos entstanden.
"Wir mussten uns nackt an Bäume lehnen"
Internatsschüler musste für den Schulleiter posieren
Noch heute spürt Herbert Schmidt (Name geändert) die kitzelnden Grashalme der Wiese, auf die er sich mit einem Mitschüler nackt legen musste. Der Internatsleiter schoss begeistert Fotos. Zuvor hatte der Mann die Jungen in die Schuldusche geschickt und auch da von allen Seiten geknipst. Instinktiv habe er damals gewusst, dass es falsch war, was der Erwachsene tat, sagt der ehemalige Schüler des von Jesuiten geführten Aloisiuskolleg in Bonn heute. Aber als Kinder hätten sie sich nicht wehren können.
19.02.2014
epd
Ebba Hagenberg-Miliu

Die Unterstufenschüler mussten für den Mann posieren. "Draußen mussten wir uns auf irgendwelche Steine setzen und an Bäume lehnen", erinnert sich der heute 41-jährige Schmidt mit Grauen. Der Erwachsene habe fotografiert, bis mehrere Filme voll gewesen seien. Als sie Wochen später danach gefragt hätten, habe es geheißen: Die Fotos seien nichts geworden. Schmidt schweigt. "Wir wurden benutzt", sagt er. "Wir wurden missbraucht, egal ob diese Fotos strafrechtlich als Pornografie beurteilt worden wären oder nicht."

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Der aktuelle Fall des SPD-Politikers Sebastian Edathy hat Schmidt aufgewühlt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Hannover, die gegen den früheren Bundestagsabgeordneten wegen des Verdachts auf Besitz von Kinderpornografie ermittelt, hat Edathy Bilder nackter Jungen erworben, auf denen aber keine sexuellen Handlungen gezeigt werden. Schmidt will niemanden vorverurteilen. Aber auch wenn die bei Edathy gefundenen Bilder keine strafrechtliche Relevanz hätten, könne er die Rechtslage nicht gutheißen.

"Kein Erwachsener hat einen anderen Grund, sich Fotos von fremden nackten Kindern zu besorgen, als zur Selbstbefriedigung", sagt Schmidt. "Es sind und bleiben Unrechtsfotos." Deshalb appelliert er an die Politik, international für die Rechte der fotografierten Kinder einzutreten und sich nicht nur auf die innenpolitischen Folgen zu konzentrieren.

Für die Erstellung des offensichtlich auch von Edathy gekauften "Materials" seien Kinder in ihrer Menschenwürde verletzt oder missbraucht worden, betont der 41-Jährige. Er wisse, wie wichtig umgehende therapeutische Hilfe gerade für die kindlichen Opfer solcher Übergriffe sei. "Außerdem müssen wir eine nachhaltige Debatte darüber führen, wie hier in Deutschland für die Opfer solcher Darstellungen das Recht am eigenen Bild gestärkt und strafrechtlich bewehrt werden kann."

Jahrelange Suche nach Bildern von sich

Der ehemalige Internatsschüler hat sich schon vor Jahren auf die Suche nach seinen möglicherweise doch erhaltenen Kindernacktfotos gemacht - und eine wahre Odyssee hinter sich. Als 2010 der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche öffentlich wurde, kamen auch zahlreiche Fälle am Bonner Aloisiuskolleg ans Licht. Insgesamt wurden 18 Ordensmitglieder und fünf weltliche Mitarbeiter beschuldigt, Schüler missbraucht und misshandelt zu haben. Auch gegen den ehemaligen Internats- und Schulleiter ermittelte die Staatsanwaltschaft, bis der Mann Mitte 2010 starb.

Hunderte von vielfach erotischen Kinderfotos seien im Nachlass des Mannes gefunden worden, berichtet Schmidt. Strafrechtliche Relevanz hätten die damals von einer Aufklärungskommission gefundenen Akte und Halbakte zwar nicht gehabt. Doch wer wisse, wie viele Bilder aussortiert worden seien?

Beziehungsunfähig bis heute

Schmidt hat sich inzwischen auch den Weg ins Archiv des Jesuitenordens erkämpft. Plötzlich hielt er eines der Nacktbilder von damals in den Händen. "Da gab es ganze Bilderserien meiner Schulkameraden", berichtet er. Aus den Fotoalben seien einzelne Fotos nachträglich entfernt worden. "Wer sagt mir, dass sie nicht pornografisch waren?", fragt Schmidt. "Wer sagt mir, wo diese Bilder heute sind? Wer sagt mir, dass ich nicht drauf war?"

Wenn er an den Tag denkt, an dem er sich mit seinem Freund für den Internatsleiter ausziehen musste, dann kocht die Wut in Herbert Schmidt immer noch hoch. Der Schulkamerad von damals habe seither nie eine wirkliche Beziehung aufbauen können, sagt er. "Ich fühle mit den heute nackt fotografierten Kindern. Weil ich ihre Ohnmacht kenne und sie selbst noch heute fühlen kann."