Foto: imago/Manja Elsässser
Es gibt Therapieangebote für Männer, die im Kontakt mit kleinen Mädchen sexuell erregt werden. Dabei lernen sie vor allem, das eigene Verhalten zu kontrollieren.
Bloß kein Täter werden
Der Edathy-Fall hat in Deutschland eine Debatte über Kinderpornografie losgetreten. Unter dem Pseudonym "NewMan" geht ein Mann mit dem Eingeständnis an die Öffentlichkeit, pädophil zu sein. Früher habe er sogar "Missbrauchsdokumentationen" angesehen, wie er sie heute nennt. Das Wissen über die Folgen für die Kinder blendete er damals komplett aus. Damals. Heute geht er mit seiner sexuellen Neigung bewusst und verantwortungsvoll um.

Warum uns das 2014 wichtig war: Die mediale Diskussion um Sebastian Edathy, der übringens Sohn eines evangelischen Pfarrers ist, brachte mich als Journalistin in eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Thema Pädophilie. Bei meiner Recherche stieß ich häufig als Spontanreaktion auf Abscheu gegenüber allen Menschen, die erotische Vorstellungen haben, in denen Kinder eine Rolle spielen. Als Psychologin weiß ich, wie brutal zerstörisch jede Form von sexuellem Missbrauch für Kinder sein kann und ihre Seelen häufig lebenslang darunter leiden. Aber dennoch, eine undifferenzierte Verurteilung aller Menschen mit pädophilen Fantasien, die deswegen einen hohen Leidensdruck haben und alles mögliche versuchen, um bloß niemals ein Täter zu werden, kann ich nicht unterstützen. Pädophilie ist ein Thema, das medial selten beachtet wird. Doch die Heimlichkeit bietet Nährboden für tatsächliche sexuelle Übergriffe auf Kinder. Ich würde mit wünschen, dass Präventionsprojekte wie "Dunkelfeld" bekannter werden.

- Sarah Salin, Freie Redakteurin bei evangelisch.de


Eine Hausdurchsuchung nach kinderpornografischem Material in seinem Haus war wie ein "Weckruf", sagt er heute. Es folgten Gerichtsverfahren und Therapie. Eines Tages stand NewMan dann vor dem Spiegel und gestand es sich selbst ein: "Ich bin pädophil." Da hatte der Mann in den Dreißigern schon über ein Jahr Verhaltenstherapie und einige Monate Teilnahme in einer Nachsorgegruppe an der Berliner Charité hinter sich.

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Rückblickend findet er es erschreckend, mit was für Scheinargumenten und Ausreden er sich selbst als "hilflosen und wehrlosen Spielball" seiner Gefühle sehen konnte. Mit dem selbst gewählten Pseudonym "NewMan" wollte er sich ursprünglich lediglich von seiner Vergangenheit abgrenzen. Aber mittlerweile fühlt er sich bei dem Umgang mit dem Thema tatsächlich wie ein "Neuer Mann".

Er will aufklären und über den gesamten Themenkomplex informieren. Es gebe soviel Schweigen, Scham und Vertuschen. Unterdrückte, nicht aufgearbeitete und unreflektierte Gedanken und Gefühle seien aber Nährboden dafür, dass es tatsächlich zu sexuellen Übergriffen auf Kinder kommt.

Genau das gilt es aber zu verhindern. "Und die Basis jeder Prävention ist korrekte Information", sagt NewMan. Ausführliche Informationen finden sich daher auch auf der Internetseite "Schicksal und Herausforderung". Die Website liegt in den Händen eines Teams von vier Leuten. Anne ist Opfer jahrelangen Missbrauchs, Lisa arbeitet ehrenamtlich in einer Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch und die beiden Männer, NewMan und Max sind heteropädophil. Das bedeutet, sie fühlen sich vorrangig von Mädchen vor der Pubertät angezogen.

Kostenlose Therapie, durch Schweigepflicht geschützt

Ein Pädophiler unter dem Pseudonym "Marco" hat die Internetseite aufgebaut. "Mit seinem eigenen Geld, das war ganz schön teuer", sagt NewMan. "Vor ungefähr zwei Jahren haben wir dann die Seite von ihm übernommen. Ansonsten wäre sie offline gegangen."

Aufklärung ist NewMan wichtig: "Pädophilie ist eine sexuelle Störung und bedeutet eben nicht, dass jemand zum Täter wird." Die Betroffenen leiden häufig unter Selbstverurteilung, Depressionen und Ablehnung durch die eigene Familie: "Das reicht bis zu Suizidgedanken."

Beide Männer haben an einer Therapie im Rahmen des Präventionsprojekts Dunkelfeld (auch bekannt als Projekt "Kein Täter werden") teilgenommen. Das Netzwerk bietet in mehreren deutschen Städten ein kostenloses und durch die Schweigepflicht geschütztes Behandlungsangebot an.

Die Betroffenen erhalten Unterstützung, um sexuelle Übergriffe durch direkten körperlichen Kontakt oder indirekt durch den Konsum oder die Herstellung von Missbrauchsabbildungen im Internet (sogenannte Kinderpornografie) zu verhindern. Ziel der Therapie ist es insbesondere zu lernen, das eigene Verhalten so zu kontrollieren, dass es zu keinem sexuellen Übergriff auf Kinder kommt.

Betroffene haben hohen Leidensdruck

Laut Statistiken sind etwa ein Drittel bis die Hälfte der verurteilten Täter, die Übergriffe auf Kinder verübten, pädophil. Andere Sexualstraftäter wenden sich an Kinder, wenn sie ihre Sexualität nicht mit Erwachsenen ausleben können.

Der Diplom-Psychologe Matthias Butz von der Universität Regensburg ist Mitarbeiter bei "Kein Täter werden": "Patienten, die zu uns kommen, haben einen enormen Leidensdruck", sagt Butz. "Einige spüren, mit mir stimmt etwas nicht, denken dabei aber nicht an Pädophilie." Wer das Therapieangebot in Anspruch nehmen will, muss seine auf Kinder gerichtete sexuelle Neigung als problematisch ansehen. Außerdem muss derjenige von sich aus und nicht wegen einer juristischen Auflagen kommen.

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Den meisten Betroffenen falle es schwer, die Diagnose Pädophilie anzunehmen: "Unsere Patienten wollen sozial anerkannt sein, manche auch eine Familie haben, da passt Pädophilie nicht ins Selbstbild", sagt Butz. "Viele Betroffene schämen sich, sind hilflos und haben Angst, dass sie ihre Neigung nicht kontrollieren können."

In Einzelfällen bekämen Patienten neben der Therapie unterstützend Medikamente verabreicht. Diese mindern den sexuellen Trieb und sexuelle Fantasien. "Es sind derzeit auf wissenschaftlicher Basis keine gezielten Möglichkeiten bekannt, um Pädophilie zu heilen", so der Psychologe.

Pädophilie: Ursache weiter unklar

In dem Projekt wird auch zu Pädophilie geforscht. Vieles ist bisher unklar. "Sicher ist aber, dass eine entsprechende Neigung nicht zwangsläufig zu sexuellen Übergriffen auf Kinder führt", sagte Butz. Es wurde festgestellt, dass im Laufe der Therapien viele Projektteilnehmer problematische Einstellungen veränderten. Zudem entwickelten viele die Fähigkeit, sich besser in potenzielle Opfer einzufühlen und deren Perspektive einzunehmen.

Pädophilie werde durch verschiedene Faktoren begünstigt, sagte Butz. Forschung belege, dass biologische Faktoren wie Genetik, eigene Erlebnisse wie sexueller Missbrauch - aber auch andere Traumatisierungen - in der Kindheit und psychologische Faktoren wie Schüchternheit oder geringes Selbstwertgefühl eine Rolle spielen. "Wie diese Faktoren genau zusammen wirken, ist noch unklar", sagte der Experte.

Als gesichert gilt jedoch, dass sich pädophile Neigungen meist in der Pubertät manifestieren wie andere sexuelle Neigungen auch. Insgesamt sind Studien zufolge deutlich mehr Männer als Frauen pädophil. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 0,5 Prozent bis ein Prozent der erwachsenen Männer eine pädophile Neigung besitzen, einige fühlen sich sowohl von Erwachsenen als auch von Kindern angezogen.