Die Faustregel lautet: acht Grad in der leerstehenden, maximal 16 Grad in der benutzten Kirche. Dabei geht es nicht in erster Linie um kuschelige Wärme für Gottesdienstbesucher, sondern darum, dass Bauteile und Einrichtung der Kirche nicht beschädigt werden. Entscheidend ist die relative Feuchte der Raumluft, und die hängt immer von der Temperatur ab: Warme Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen als kalte. Optimal sei in einer Kirche eine relative Luftfeuchte von 50 und 65 Prozent, sagt Christian Dahm, Energieberater bei der EnergieAgentur.NRW und im Nebenberuf Kirchenmusiker.
"Heizen bedeutet: Ich heize den Raum trocken", erläuert Dahm. Wird es in der Kirche dauerhaft zu warm, kann das Wandbildern, Möbeln und Schnitzereien schaden. Das Holz trocknet aus und verzieht sich. "Ich darf also nicht heizen, wie ich möchte, sondern nur so, dass ich die relative Luftfeuchte von 50 Prozent nicht unterschreite", sagt Dahm. Besonders knifflig wird das, wenn nur zum Sonntagsgottesdienst die Temperatur hochgedreht wird und die Kirche danach für den Rest der Woche wieder abkühlt. Die Temperatur darf nur langsam verändert werden, "maximal ein Grad pro Stunde sein, eher weniger", sagt der Energieberater. "Das heißt, 10 bis 12 Stunden vor dem Gottesdienst muss ich anfangen zu heizen und hinterher langsam wieder runter." Der Schulungsbedarf für Gemeinden sei riesig: "Ich bin momentan ohne Ende unterwegs zu Vorträgen", seufzt Christian Dahm.
Der Münchener Architekt Claus Arendt gilt als der deutsche "Kirchenheizungspapst", er ist beratend für Altbausanierung und Denkmalpflege tätig und empfiehlt als Maximaltemperatur in einer Kirche sogar nur 12 Grad. Zu einem Konzert könne man die Kirche ausnahmsweise mal für kurze Zeit auf 16 oder 17 Grad aufheizen, "wenn die Heizung nicht in unmittelbarer Nachbarschaft irgendeines besonderen Kunstwerkes steht". Arendt weist außerdem darauf hin, dass die Faustregel "je wärmer desto trockener" zu einfach ist: Besucher tragen - besonders bei Regenwetter - Wasser in die Kirche hinein, so dass die absolute Raumfeuchte kurzfristig ansteigt, auch bei warmer Luft.
Wird es dagegen zu kalt in der Kirche, kondensiert die Feuchtigkeit an den Wänden. In den Ecken wird es nass und der Putz bröckelt ab. In der Orgel kann sich bei Kälte Schimmel bilden. Auf keinen Fall darf es in einer Kirche unter null Grad kalt werden: "Das schlimmste, was passieren kann, ist Feuchtigkeit im Mauerwerk, die dann gefriert", warnt Energieberater Christian Dahm.
Winterkirche: "wie ein großes Wohnzimmer"
Um das Rauf und Runter bei der Temperatur zu vermeiden und um Heizkosten zu sparen, machen es sich viele Gemeinden in der "Winterkirche" gemütlich, so zum Beispiel die evangelische Dreifaltigkeits-Gemeinde in Hagen (Westfalen). Deren neoklassizistische Backsteinkirche (um 1900 erbaut, 1955 wiederaufgebaut) bleibt im Winter weitgehend unbenutzt, die Sonntagsgottesdienste finden zwischen Erntedank und Ostern meistens im Gemeindehaus statt. Der Saal dort ist dann "wie ein großes Wohnzimmer", erzählt Pfarrer Matthias Heuer. "Die Leute kommen und legen ihre Winterjacken ab und begehen den Gottesdienst sehr familiär. Man bekommt was voneinander mit, man sieht sich und man hört sich, wenn man singt." In der Kirche dagegen würden sich die rund 40 Gottesdienstbesucher auf 240 Plätzen verlieren.
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Die Winterkirche tut also der Gemeinschaft gut und spart Geld: 3000 Euro gibt die Kirchengemeinde für die Heizung pro Jahr aus, während es früher bei durchgehender Nutzung der Kirche rund 5000 Euro waren. Nur für die Weihnachts- und Silvestergottesdienste wird die Kirche langsam auf 16 Grad geheizt, ansonsten bleibt die Temperatur bei acht Grad. Die Feuchtigkeit wird ständig überwacht, das Hydrometer zweimal am Tag abgelesen. Ganz ohne technischen Aufwand und ganz ohne Heizung geht es eben nicht – auch nicht bei einer leer stehenden Kirche.
"Insgesamt: runter mit der Temperatur, eine gute Steuerung und Wärmedämmung", fasst Hans-Jürgen Hörner zusammen. Er ist Projektleiter des kirchlichen Umweltmanagement-Bereichs "Der Grüne Hahn". Hörner empfiehlt Gemeinden als erstes zu schauen: "Hab ich irgendwo Löcher?" Vor allem die Decke sollte gut gedämmt sein, damit keine Wärme nach oben entweicht. Und dann müssen Pfarrer, Organist und Küster auch ein bisschen mitdenken: "Neulich war ich in einer Kirche, da war ein Türchen hinter der Orgel, das in den Turm führte. Unten wurde geheizt, und mit dem Glockenklang gemeinsam ging die Wärme in die Umwelt", erzählt Hans-Jürgen Hörner fassungslos. Doch er kennt auch positive Beispiele, allen voran die evangelische Kirche in Heinsberg. Das Gebäude wurde so gut gedämmt, dass es jetzt auf Passivhaus-Standard ist.
Abgeguckt bei den Römern: Fresken als Heizkörper
Doch eine solche Sanierung ist teuer und nicht bei allen Kirchen möglich. Viele verwenden in die Jahre gekommene ineffiziente Heizungen, mit denen versucht wird, das gesamte Luftvolumen in der Kirche zu erwärmen. Oftmals ist das aber gar nicht nötig, denn eigentlich muss ja nicht die ganze Kirche warm, sondern nur den Besuchern nicht kalt sein. In Süddeutschland sind Bankheizungen verbreitet, die während des Gottesdienstes den Bereich unter den Kirchenbänken erwärmen – oft nur in den ersten paar Reihen. Das ist deutlich kostengünstiger als die komplette Kirche zu heizen. Claus Arendt würde allerdings moderne elektrische oder Warmwasser-Bankheizungen den älteren stark pustenden Heißluftmodellen vorziehen. Christian Dahm von der EnergieAgentur.NRW ergänzt: "Gescheit sind auch Varianten wie beheizte Sitzkissen. Davon gibt es auch intelligente Exemplare, die nur da angehen, wo jemand sitzt."
Henning Großeschmidt, Restaurator für Museen und Denkmalpflege, hat als Mitarbeiter des Denkmalamtes München die Methode der Temperierung erfunden. Das heißt, eigentlich hat er abgeguckt – bei den alten Römern. Die heizten nicht die Raumluft auf, so dass Zug entsteht und Staub aufgewirbelt wird. Vielmehr hielten sie die Räume warm, indem sie die Wärmeverluste der Außenwände ausglichen: Sie ließen das Abgas eines Ofens durch den Fußboden in hohle Ziegel unter dem Putz strömen. "So wirkten die Fresken als Heizkörper", erklärt Großeschmidt, der heute ein Büro für Thermische Bauphysik betreibt.
Um Kirchen zu wärmen, verlegt Großeschmidt auf der Wandinnenseite im Sockel – knapp über dem Boden im Wandputz – zwei fingerdicke Rohre, durch die heißes Wasser fließt. Die Installation einer solchen modernen "Römerheizung" kostet laut Großeschmidt – je nach Größe der Kirche – zwischen 5.000 und 15.000 Euro, dazu kommen die Kosten für die Wärmeerzeugung. Die Methode ist in historischen Kirchen zu empfehlen, deren Wandsockel schon durch Feuchte und Bodensalze geschädigt sind: "Beim Reparieren der Schadenszone legen Sie das Heilmittel ein, das neue Schäden verhindert und zugleich den Raum temperiert", erklärt Großeschmidt. Die Wände werden von innen warm und dadurch auch gleich trocken.
Die Gottesdienste werden kühler
Claus Arendt hält die Methode der Temperierung dann für sinnvoll, "wenn Sie unten in der Boden-Wand-Ecke Schimmel haben". Ob das Modell generell als Kirchenheizung taugt, bezweifelt er. In einer kleinen Kapelle könne es durch die heißen Rohren in der Wand zwei oder drei Grad wärmer werden, aber "wenn ich das in einer normalen Kirche mache oder gar in einem Dom, dann merkt man so gut wie nichts".
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Welche Heizungsart für eine Kirche die beste ist, kann Arendt erst sagen, wenn er das jeweilige Gebäude genau angeschaut hat. Seine häufigste Empfehlung lautete bisher: "Warmluftheizung mit Wärmestationen". Dabei wird die Wärme mit Wasser transportiert und an mehreren Stationen in der Kirche in warme Luft umgewandelt. "Das ist wohl die schonendste, aber auch die teuerste Heizung", erklärt der Fachmann. Viel wichtiger als die Heizungsart sei jedoch die Heizweise - also möglichst wenig Hin und Her zwischen feucht und trocken, kalt und warm.
Bei seiner Beratungstätigkeit hat Arendt im Laufe der Jahre gemerkt, dass es in den Kirchen immer kälter wird. "Die Gemeinden sind vorsichtiger geworden, vielleicht weniger aus Einsicht, sondern wegen der Heizkosten", vermutet er. Umso besser für die Orgeln und Kunstwerke. Und auch Hans-Jürgen Hörner vom "Grünen Hahn" wirbt für kühle Gottesdienste: "Bei Kirchen, wo im Foyer ein Kleiderständer steht, da ist irgendwas falsch", sagt der Umweltmanager. "Es kann durchaus erwartet werden, die Jacken anzulassen."