Foto: Thinkstock/Getty Images/Christopher Robbins
Ein Vater spricht mit seiner Tochter. Dies kann Kinder emotional entlasten, gerade in Krisensituationen.
"Kannst du daran sterben, Mama?"
Als Johannes W. an Krebs erkrankt, beschließen er und seine Frau, den beiden Kindern nichts davon zu erzählen. Beide hüllen sich in Schweigen, sagen der Tochter (8) und dem Sohn (10) nur, dass der Papa für ein paar Tage ins Krankenhaus muss. "Zu Hause herrschte lähmendes Schweigen", erzählt die Tante der Kinder.
09.03.2014
epd
Barbara Driessen

Auf Wunsch ihrer Schwester und ihres Schwagers nimmt sie die Kinder für die Dauer des Krankenhausaufenthaltes zu sich. "Sie sollten von allem nichts mitbekommen, weil meine Schwester meinte, das würde sie nur unnötig belasten", sagt die Tante.

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Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts erkrankten im Jahr 2010 in der Altersgruppe der 30- bis 44-Jährigen etwa 500 Frauen pro 100.000 Einwohner an Krebs. Bei den Männern waren knapp es 300 von 100.000. Was und wie viel sollte man Kindern sagen, wenn Mutter oder Vater ernsthaft erkranken, möglicherweise sogar um ihr Überleben kämpfen? Sollte man die Kinder schonen oder sie einbeziehen in die Krisensituation?

Die erste Reaktion von Eltern besteht oft darin, den Kindern den Ernst der Lage zu verschweigen: "Eltern sind häufig durch die Diagnose Krebs massiv verunsichert und wissen nicht, wie sie dieses Thema bei ihren Kindern ansprechen sollen", sagt Georg Romer, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Münster. Besonders vor der Frage "Kannst du daran sterben, Mama?" hätten Eltern Angst. "Aus diesem Grund weichen sie der Situation häufig aus."

Kinder haben feine Antennen

Doch Romer plädiert dafür, den Kindern die Wahrheit zu sagen: "Die Situation, dass ein Elternteil durch eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung belastet ist, lässt sich so oder so nicht von einem Kind fernhalten. Kinder haben für diese Belastung sehr feine Antennen." Sie merkten dann, dass etwas nicht stimme, wüssten aber nicht, was es sei. Ein offenes Aussprechen entlastete die Situation erheblich. Die Botschaft an das Kind sei dann: "Nichts ist so schlimm, dass wir nicht darüber sprechen können."

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Auch der Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, Christian Albring, rät zur Offenheit: "Eltern verschweigen die schlechten Nachrichten ihren Kindern nicht etwa, um die Kinder zu schonen, sondern um die Situation für sich selbst erträglicher zu gestalten. Das ist aber keine Lösung." Kinder müssten ihre eigenen lebensbedrohlichen Ängste und Nöte, auch ihren Zorn und ihre Verwirrung zum Ausdruck bringen dürfen, sagt Albring. Sonst könnten sie psychisch krank werden. Als Gynäkologe hat Albring regelmäßig mit Patientinnen zu tun, die an Brustkrebs erkrankt sind.

Kinder wollten außerdem nicht nur wissen, was mit ihrer Mutter passiere, sondern auch mit ihnen selbst: Wohin kommen sie, wenn die Mutter länger krank ist, zu wem kommen sie, wenn sie stirbt? Albring: "Sie haben Fragen wie: Darf ich mich weiter mit meinen Freunden treffen? Kann ich helfen, dass es Mama bessergeht?"

Und grundsätzlich seien Kinder auch nicht zu jung, um mit ihnen diese Themen zu besprechen, findet Georg Romer: "Jede Wahrheit, auch eine bedrohliche oder traurige, lässt sich in einer dem Alter des Kindes entsprechenden kindgerechten Art angemessen vermitteln." Das gelte ab dem Erwerb der Sprache in ganzen Sätzen, also in der Regel spätestens ab zwei Jahren.

Bevorstehenden Tod verschweigen

Und was ist, wenn man weiß, dass eine Heilung ausgeschlossen ist? Im Jahr 2010 sind in Deutschland rund 3.700 Männer und Frauen zwischen 30 und 44 Jahren an Krebs gestorben. Viele von ihnen waren junge Eltern. Romer rät in einem solchen Fall ausdrücklich davon ab, einem Kind den sicheren Tod eines Elternteils vorherzusagen. "'Eltern auf Abruf' sind für ein Kind nicht zu bewältigen. Kinder brauchen die Hoffnung bis zuletzt."

Dabei sei es völlig ausreichend, wenn das Kind wisse, dass Mama oder Papa grundsätzlich auch an dieser Krankheit sterben könnten. "Sollte dieser traurige Fall eintreten, fühlt sich das Kind im Nachhinein nicht von der Möglichkeit, sich auf dieses traurige Ereignis vorzubereiten, ausgeschlossen und entsprechend auch nicht betrogen."