Geschichten wie diese gab es auch schon in wesentlich weichgespülterer Form: Hübsche junge Frau erbt Anteile an einer Reederei, muss aber erst mal für Ordnung sorgen, weil böse Mitbewerber die Firma in den Ruin treiben wollen. Sieht man über das Erbschaftsdetail hinweg, hat "Die Schuld der Erben" (Buch: Florian Iwersen, Stefan Holtz, Marcus Hertneck) eine ganz ähnliche Handlung. Da Patriarch Leonard Asmussen (Otto Sander), Besitzer der letzten großen Hamburger Werft in Familienbesitz, noch lebt, kann von Erben jedoch streng genommen keine Rede sein. Nach einem Schlaganfall übernimmt Tochter Clara (Lisa Martinek) den Vorsitz der Geschäftsführung und gerät auf diese Weise mitten in ein Komplott. Das Ziel der Verschwörung ist klar: Das Traditionsunternehmen soll in den Bankrott getrieben werden, damit es auf diese Weise zum preiswerten Kandidaten für eine Übernahme wird. Die Frage ist bloß, wer hinter den Kulissen die Fäden zieht. Der große Unbekannte ist immerhin so skrupellos, ein Containerschiff, den Prototypen einer neuen Generation, havarieren zu lassen.
"Traue keinem, nicht mal dir selbst"
Heldin Clara muss sich erst mal der Vergangenheit stellen und ein Jahrzehnte altes Trauma verarbeiten, bevor sie die Verwicklungen der Gegenwart in den Griff bekommt. Ihren größeren Reiz bezieht die Geschichte allerdings aus der Tatsache, dass die Tochter weitgehend auf sich allein gestellt ist. "Traue keinem, nicht mal dir selbst", rät ihr der Bruder (Johann von Bülow), der sich beim Ringen um das Überleben des Unternehmens als Gegenspieler entpuppt: Er macht gemeinsame Sache mit einer hübschen Bankerin (Katharina Wackernagel), die in diesem Spiel um Geld und Macht mit allen Waffen kämpft. In ihrer Not wendet sich Clara ausgerechnet an Kurt Hanson (Jürgen Prochnow). Er ist nicht nur der einflussreichste Reeder der Stadt, sondern vor allem der Erzfeind und Nebenbuhler vom alten Asmussen, dem er einst die Frau ausgespannt hat. Angeblich trägt er auch die Schuld an ihrem Tod.
Angesichts der Überlänge von 120 Minuten kann sich der Film den Luxus leisten, den charismatischen Hanson erst nach einer halben Stunde einzuführen. Etwa zur gleichen Zeit tritt auch Bruno Fuhrmann (Matthias Koeberlin) auf den Plan, ein investigativer Journalist, der beweisen kann, wer das Containerschiff sabotiert hat. Er scheint auf Claras Seite zu stehen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Als ihnen klar wird, dass der Drahtzieher im Hintergrund zur Not auch über Leichen geht, um sein Ziel zu erreichen, steht beim Kampf um die Asmussen-Werft plötzlich auch ihr eigenes Leben auf dem Spiel. Regisseur Uwe Janson hätte die Handlung zwar ohne größere Verluste auf neunzig Minuten reduzieren können, doch gerade dank der namhaften Schauspieler ist "Die Schuld der Erben" durchaus sehenswert.