Foto: epd-bild/Stefan Arend
Die Fahne der Schweiz weht hier vor blauem Himmel und Wattewölkchen, doch die Idylle trügt: Am Sonntag stimmten die Eidgenossen mehrheitlich für eine Initiative, mit der vermeintliche "Masseneinwanderung" begrenzt werden soll. Die Kirchen hatten vor einem "Ja" gewarnt.
Bischöfin: "Ich nehme ein großes Erschrecken wahr"
Petra Bosse-Huber über die Schweizer Volksabstimmung gegen "Masseneinwanderung"
In der Schweiz gibt es praktisch Vollbeschäftigung. Fachkräfte werden überall gebraucht, vor allem in Gesundheits- und Pflegeberufen. Dennoch entschied sich die eidgenössische Bevölkerung am Sonntag mit knapper Mehrheit für die Initiative der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) "Gegen Masseneinwanderung". Petra Bosse-Huber, seit Anfang Januar Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), sprach am Montagnachmittag mit evangelisch.de über Hintergründe und Folgen der Abstimmung sowie über die gegenwärtige Stimmung in der Schweiz.

Petra Bosse-Huber nimmt in dieser Woche in Genf an der Tagung des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) teil. Am Sonntag besuchte sie den Gottesdienst der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Genf. Im Gespräch mit evangelisch.de zeigte sich die Theologin enttäuscht über das Ergebnis der Abstimmung. Sie warnte zugleich vor "Schwarz-Weiß-Malereien". Die Initiative habe sich nicht gegen Fremde gerichtet, sondern eher einen europakritischen Akzent gehabt. Die Menschen hätten "berechtigte soziale und gesellschaftliche Sorgen", so Bosse-Huber. Dabei dürfe man aber nicht unterschätzen, was es an ausländerfeindlichen Stimmungen gebe.

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Frau Bosse-Huber, wie erleben Sie die Stimmung in der Schweiz nach der Volksabstimmung?

Bosse-Huber: Ich bin natürlich keine Betroffene, nehme aber ein großes Erschrecken wahr. Viele haben nicht mit diesem Ergebnis gerechnet. Die Schweizerische Volkspartei kommt ja alle paar Jahre mit einer Initiative dieser Art. Bei der Abstimmung am Sonntag ist es denkbar knapp zugegangen – fast genauso viele Menschen waren gegen die Initiative wie dafür. Die Schweizer Kirchen haben im Vorfeld davor gewarnt, was bei einer Zustimmung passieren würde.

Wie wird sich die EKD zum Ausgang der Initiative verhalten?

Bosse-Huber: Gar nicht. Das ist nicht unser Thema, sondern eines der Schweizer Kirchen. Wir können nur solidarisch sagen, dass wir sie in ihrer Haltung unterstützen.

Wie ist Ihre persönliche Meinung?

Bosse-Huber: Ich wende mich deutlich gegen Schwarz-Weiß-Malereien. Es war keine Abstimmung gegen Fremde in der Schweiz, sondern ein entschieden europakritisches Votum. Die Schweiz hat eine sehr lange Grenze zu Frankreich. Viele Menschen kommen von dort und arbeiten für extrem niedrige Löhne, während viele Schweizer keine Arbeit finden. Würde es so etwas wie Mindestlöhne geben, wäre die Abstimmung anders gelaufen. Man muss das ernstnehmen, darf nicht sofort sagen: Das ist Fremdenfeindlichkeit. Vielleicht ist die Politik nicht aufmerksam genug gewesen. Ich erinnere nur daran, wie lange es in Deutschland gedauert hat, bevor wir beim Thema Mindestlohn zu Ergebnissen kamen.

"Wir werden abwarten müssen, was die Schweiz jetzt tut"

Belastet die Abstimmung die ökumenische Zusammenarbeit mit den Kirchen in der Schweiz?

Bosse-Huber: Ich hoffe nicht. Wir werden abwarten müssen, was die Schweiz jetzt genau tut und welche Maßnahmen seitens der Europäischen Union ergriffen werden – mit allen Konsequenzen, die es für die kirchliche Zusammenarbeit gibt. Wir stehen auf jeden Fall an der Seite der Schweizer Kirchen.

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Was bedeutet es insbesondere für den Weltkirchenrat in Genf und die Menschen, die dort arbeiten?

Bosse-Huber: Auch das muss geklärt werden. Allen Beteiligten ist das noch nicht klar, auch arbeitsrechtlich. Der Generalsekretär des Weltkirchenrats hat gesprächsweise geäußert, neben dem ÖRK seien viele weitere internationale Organisationen betroffen. Man muss einfach sehen, welche Konsequenzen das hat.

Die Reformierte Weltgemeinschaft und die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) haben bereits vor einiger Zeit ihren Abschied aus Genf angekündigt. Hat das auch mit den Schweizer Befindlichkeiten zu tun hat?

Bosse-Huber: Nein, ganz sicherlich nicht. Die Reformierten gehen ausschließlich aus finanziellen Gründen nach Hannover. Das liegt an der Stärke der Schweizer Währung. Die KEK geht nach Brüssel, weil dort die meisten europäischen Institutionen ansässig sind. Mit der Schweizer Entscheidung in Sachen Einwanderung hat das nichts zu tun.

"Die Menschen haben berechtigte soziale und gesellschaftliche Sorgen. Wir dürfen aber nicht unterschätzen, was es an ausländerfeindlichen Stimmungen gibt"

Die Abstimmung vom Sonntag berührt die heiß diskutierten Themen Migration und Fremdenfeindlichkeit: Haben Sie den Eindruck, dass Europa nach rechts rückt?

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Bosse-Huber: Viele Menschen sind verunsichert, da werden einfache Lösungen immer populärer. Es ist berechtigt, dass Menschen ihre Ängste artikulieren. Man kann das allerdings auf zweierlei Weise interpretieren: entweder als Rechtsrutsch, oder aber man sagt, es seien berechtigte soziale und gesellschaftliche Sorgen. Ich würde eher zum zweiten tendieren. Dabei dürfen wir aber nicht unterschätzen, was es an ausländerfeindlichen Stimmungen gibt.

Was können Christen in Europa für mehr Integration und Zusammenhalt tun?

Bosse-Huber: Wir können das Ureigene tun, nämlich unser Ohr jenen leihen, die keine Stimme haben. Das gilt für die sozial Schwachen genauso wie für jene, die als Flüchtlinge zu uns kommen. Gerade wir Kirchen haben viele Verbindungen und Kontakte in aller Welt, die wir nutzen können. Das sind unsere Stärken.