Als er am 30. Januar 1990 Erich und Margot Honecker in sein Pfarrhaus in Lobetal bei Berlin aufnahm, folgten Demonstrationen, Bombendrohungen und 3.000 zumeist empörte Briefe. Ängstlich sei er deshalb aber nicht gewesen. Denn er habe getan, was sein Gewissen und sein Glaube ihm vorschrieben, sagt der evangelische Theologe, der am 6. Februar 85 Jahre alt geworden ist.
Asyl auch für Kirchenskeptiker
Holmer leitete damals die Hoffnungstaler Anstalten in Lobetal, die 1905 als Arbeiterkolonie für obdachlose Berliner gegründet worden waren. Der gestürzte DDR-Staats- und SED-Parteichef, der das Wohnrecht in der Funktionärssiedlung Wandlitz verloren hatte und dem damals "Hochverrat" vorgeworfen wurde, "war so ein obdachloser Berliner", sagt Holmer, der heute im mecklenburgischen Serrahn bei Krakow am See lebt.
###mehr-artikel###
"Ja, ich würde es heute wieder tun", ist er überzeugt. "Ich sehe je länger desto deutlicher, dass die Welt ohne Vergebung kaputt geht und dass die, die Gottes Vergebung erfahren haben, die Ersten sein sollen, die Vergebung weitergeben." Dabei verschweigt er nicht die Brisanz, die Honeckers Aufnahme im Pfarrhaus hatte. Dass der langjährige Vertreter derer, die der Kirche ihr Ende vorausgesagt hatten, "bei der Kirche anklopfte", war ohne Zweifel demütigend. Doch habe er, sagt Holmer, darüber mehr Mitleid empfunden als Triumph.
Der in einer christlichen Familie in Wismar aufgewachsene Holmer musste in der DDR einiges wegstecken. Als junger Pastor in Leussow bei Ludwigslust hatte er seinen Unmut über die Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft deutlich zum Ausdruck gebracht. Daraufhin durften ihn seine Eltern und seine Geschwister aus Westdeutschland ein Jahr lang nicht besuchen. Später bekamen auch seine Kinder zu spüren, was es hieß, als Christen in der atheistisch geprägten DDR zu leben: Sieben seiner zehn Kinder durften nicht zur Oberschule und waren damit vom Abitur ausgeschlossen - trotz guter Zensuren.
Weihnachtsgrüße von Honeckers Frau
Auch Honecker gegenüber habe er aus seinem christlichen Glauben nie einen Hehl gemacht. Bei den gemeinsamen Essen wurden Tischgebete gesprochen. Und bei einem späteren Besuch im Berliner Gefängnis Moabit habe er Honecker "bezeugt, dass es auch nach dem Tod mit Gott weitergeht". Holmer betont, es sei nach wie vor sein Ziel, "dass Menschen sich ermutigen lassen, in die Nachfolge Jesu zu treten". Deshalb halte er noch immer Gottesdienste und Andachten, Bibelwochen sowie Beerdigungen und Trauungen.
Die friedliche Revolution vor 25 Jahren bezeichnet Holmer als großes Geschenk Gottes, für das er dankbar sei. Trotzdem hat er bis heute mit der seit 1994 verwitweten Margot Honecker Kontakt - "wenn auch locker", wie er sagt. Erst kürzlich habe Honeckers Frau etwa einen Weihnachtsgruß aus Chile an das Ehepaar Holmer geschickt. "Und wir werden mit meinem Geburtstagsdankbrief antworten."
Rückblickend auf die friedliche Revolution sagt er: "Wir sind äußerlich sehr reich geworden, innerlich aber arm". In dem Maße, "wie sich unser Volk von Gott abwendet, wächst der Egoismus und damit die Jagd nach Geld und Wohlstand". Enttäuschung und Einsamkeit nähmen zu. Und dann ergänzt er: Umso dringlicher sei ihm aber "die Frohe Botschaft von dem lebendigen und wahren Gott".