Foto: dpa/Handout
Gewalt lauert überall: Französische Soldaten patrouillieren in Bangui.
Hass jenseits der Religionen
Mehr als ein Dutzend brutaler Morde pro Tag, hilflose Schutztruppen, verzweifelte Bürger. In der Zentralafrikanischen Republik herrscht Anarchie. Eine Lösung ist nicht in Sicht.
09.02.2014
epd
Bettina Rühl

Aus einem halb zerstörten Haus kommen dumpfe Schläge, gelegentlich hellere, metallische Töne. Plünderer sind dabei, die letzten Bauteile aus einem zerschlagenen Gebäude zu lösen. "Das Haus gehörte einem Muslim", krakeelt ein junger Mann mit Rastalocken. "Die haben es alle nicht besser verdient." Der Eigentümer wurde vor ein paar Tagen von einer Meute mit Macheten zu Tode gehackt. Eine schaulustige Menge sah johlend zu und applaudierte.

Gut ein Dutzend solcher Morde werden nach Angaben des Roten Kreuzes täglich in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, verübt. Die meisten Toten bleiben anonym, doch dieser sorgte für Schlagzeilen: Das Opfer war der frühere Minister Joseph Kalité. Er gehörte der Regierung von Übergangspräsident Michel Djotodia an, der Anfang Januar unter dem Druck des benachbarten Auslands zurücktrat.

Die Hoffnung auf einen Neuanfang währte nur kurz

Djotodia hatte sich im März 2013 an der Spitze der überwiegend muslimischen Rebellenkoalition "Séléka" ("Bündnis") an die Macht geputscht und damit den Verfall des seit Jahren kaum noch existenten Staates dramatisch beschleunigt. Die Rebellen begingen und begehen schwere Verbrechen an der christlichen Bevölkerung, die daraufhin ihrerseits bewaffnete Gruppen bildete. Unter dem Namen "Anti-Balaka" ("Gegen die Macheten") fanden sich lokale Milizen, Deserteure der Armee und Banditen zusammen, die seither grausam gegen Muslime vorgehen und immer hemmungsloser plündern.

###mehr-artikel###

Der Rücktritt Djotodias und die Wahl der neuen Übergangspräsidenten Catherine Samba-Panza zehn Tage später gaben Anlass zur Hoffnung. Die aber ist bereits nach wenigen Tagen verflogen, in der Hauptstadt nimmt die Gewalt wieder zu. "Wir haben es heute mehr und mehr mit allgemeiner Gewalt und Verbrechen zu tun", sagt General Francisco Soriano, Oberbefehlshaber der 1.600 Mann starken französischen Militärmission "Sangaris".

Die Täter mordeten und plünderten zwar häufig im Namen einer bewaffneten Gruppe, aber tatsächlich verfolgten sie ihre eigenen Interessen, berichtet der General. "Sie wollen vom Chaos profitieren", sagt Soriano. Viel zu oft kommen die französischen oder afrikanischen Soldaten der Eingreiftruppe MISCA zu spät, um solche Verbrechen zu verhindern.

Macheten unter dem T-Shirt

Unter Muslimen nimmt deshalb der Hass auf die Franzosen zu. "Die Franzosen unterstützen die Anti-Balaka", tobt ein junger Mann mit Spitzbart. "Sie lassen ihnen nicht nur ihre Macheten, sondern verteilen sogar noch Waffen an sie." Eines Tages werde er einen Selbstmordanschlag begehen, "um möglichst viele Franzosen zu töten". Andere ziehen ihre nagelneuen Macheten unter den T-Shirts hervor. "Die habe ich mir extra gekauft, um den Franzosen die Kehle durchzuschneiden", sagt einer der Männer bebend vor Zorn.

Nur wenige Meter von ihm entfernt steht ein Lkw, davor türmen sich Säcke, Koffer, Möbel - das Gepäck von etwa 40 Muslimen, die in den Tschad fliehen wollen. "Wir können dieses Viertel kaum mehr verlassen, ohne von den Anti-Balaka ermordet zu werden", sagt ein Mann, der Aziz genannt werden will. "Bangui ist unsere Heimat, aber wir leben hier wie in einem Gefängnis." Seine Frau und seine Kinder sind schon seit Wochen weg. "Jetzt will ich nur noch meine Haut retten", sagt der 34-Jährige.

"Es geht längst nicht mehr um den Konflikt zwischen den beiden Religionsgruppen", sagt der Journalist Crispin Dembassa-Kette. "Der Konflikt ist viel komplexer. Jeder will sich bereichern, und mancher alte Rechnungen begleichen." Dembassa-Kette ist Christ, erhält aber Todesdrohungen von einem Kommandanten der angeblich pro-christlichen Anti-Balaka, ohne zu wissen weshalb.

"Sobald ich einen Muslim sehe, bringe ich ihn um"

Im zerstörten Haus des ermordeten Ministers Kalité hebeln die Plünderer Bodenfliesen mit ihren Macheten heraus und zerschlagen die letzten Dachbalken. "Sobald ich einen Muslim sehe, bringe ich ihn um", sagt einer aus der Gruppe, der offensichtlich unter Drogen steht. "Muslime sind dumm." Ein elfjähriger Junge, der mit einer kleinen Axt bewaffnet ist, versichert mit piepsiger Kinderstimme, auch er wolle alle Muslime töten: "Das sind schlechte Menschen."

Dann fallen Schüsse, Panzer rollen heran. Die Plünderer rennen vor den französischen Soldaten davon. 15 bis 20 Verbrechen am Tag könnten sie in Bangui verhindern, sagt General Soriano, die afrikanische Eingreiftruppe MISCA noch einmal so viel. Doch die Plünderer von Kalités Haus werden hinter der nächsten Ecke warten und später wiederkommen, um die letzten Balken wegzutragen. Und sich dann anderen Opfern zuzuwenden.

"Wir können nicht in allen Straßen und Gassen hinter jedem Haus stehen" sagt Soriano. Das aber wäre nach Lage der Dinge nötig. Täglich kommen mehr Macheten, Messer, Stöcke und Äxte zum Einsatz. Auf den Märkten, so heißt es, werden Macheten schon knapp.