Flüchtlingsunterkunft in Burbach
Foto: Tim Plachner
In der ehemaligen Kaserne in Burbach werden bis zu 800 Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern betreut. Sie bleiben jeweils nur wenige Tage und werden dann an andere Orte weiter verteilt.
Teddybären und Taufen: So können Christen Flüchtlingen helfen
Man könnte meinen, hier sei die Welt zu Ende: Hinter Burbach (Südwestfalen) geht es bergauf Richtung Hessen, und mitten im Wald liegt eine ehemalige Kaserne. Sie ist jetzt eine Flüchtlings-Notunterkunft. Menschen aus aller Herren Länder sind jeweils für ein paar Tage hier untergebracht. Auf dieser seltsamen Zwischenstation zwischen altem und neuem Leben wollen Burbacher Christen den Flüchtlingen gern beistehen – aber wie? Helfen ist gar nicht so einfach.

Hans-Peter Ginsberg parkt vor dem Haupteingang. Im Kofferraum seines Autos hat er eine Schultafel, bunte Kreide, eine Carrerabahn und mehrere Kisten mit Kuscheltieren mitgebracht. Hilfsbereite Männer und Jungen helfen, die Spielsachen reinzutragen - es sind Spenden von Burbachern. Hans-Peter Ginsberg ist der Vorsitzende der Evangelischen Gemeinschaft hier, und er kommt mehrmals in der Woche in die Flüchtlings-Notunterkunft.

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Eine Frau mit blonden Haaren beobachtet die Szene, fragt, für wen das Spielzeug ist. Für die Kinder, die hier ankommen. Sie hat auch eins, erzählt sie, einen kleinen Sohn, er sei bei ihrer Schwester zuhause in Syrien, in Aleppo. Die Frau verbirgt ihr Gesicht im Kragen ihres lila Wollpullis, kämpft mit den Tränen. "I had to go", sagt sie leise. Warum sie ihr Kind zurücklassen musste, wird nicht klar. Sie hofft, dass beide nachkommen, die Schwester und der Sohn.

So oder so ähnlich geht es allen Menschen, die hier ankommen: Sie haben die schwere Entscheidung getroffen, ihre Heimat zu verlassen. In ihren Gesichtern sieht man Angst, Sorge und auch ein bisschen Verwirrung über die fremde Umgebung. Sie sind im Bus von Dortmund hierhergebracht worden, weil die Erstaufnahme-Einrichtung dort überfüllt ist. Nun also Burbach. Hier betreut die Firma European Homecare im Auftrag des Landes NRW in Spitzenzeiten um die 800 Flüchtlinge gleichzeitig. Einige Betreuer haben selbst einen Migrationshintergrund, das ist eine große Hilfe für die Neuankömmlinge: Wer Arabisch, Englisch oder Farsi spricht, wird von den Sozialarbeitern verstanden. Eine Mitarbeiterin spricht sogar Aramäisch, die Sprache Jesu.

"Es gibt nur ein großes Gebot"

Als Anfang Oktober 2013 die ersten Flüchtlinge in der früheren Kaserne ankamen, fragten viele Einwohner: "Was können wir tun?" Es bildete sich ein runder Tisch, unter anderem mit Vertretern von Gemeinde, Kirchen, Polizei, DRK, Burbacher Tafel und Einzelhandel.

Hans-Peter Ginsberg von der Evangelischen Gemeinschaft begutachtet die Schuhe im Kleiderlager.

Die evangelischen Christen hatten große Pläne. Sie hatten erwartet, dass überwiegend syrische Christen kommen, um dauerhaft hier zu bleiben: "Wir wollten mit ihnen Gottesdienste feiern, sie in die Gemeinde integrieren", erzählt Hans-Peter Ginsberg. Doch der Traum "zerplatzte wie eine Seifenblase", als der runde Tisch erfuhr, dass Menschen aus ganz verschiedenen Ländern kommen – aus Syrien, Iran, Irak, vom Balkan, aus Afrika – und nur wenige Tage hierbleiben. Viele von ihnen sind Muslime. Aus der schönen Idee mit dem Anschluss an die Gemeinde wurde also nichts. "Wir waren alle hilflos", erinnert sich Ginsberg.

Doch aufgeben kam nicht in Frage. Als Christ sieht sich Hans-Peter Ginsberg in der Pflicht, für hilfsbedürftige Mitmenschen zu sorgen: "Wenn hier Familien hinkommen, wo Kinder traumatisiert sind, die vielleicht schon Verletzungen und Todesfälle hatten, dann denke ich, müssen wir den Menschen vernünftig begegnen. Und wenn wir sagen, wir sind christliches Abendland, und es gibt nur ein großes Gebot, nämlich Gott zu lieben und den nächsten wie sich selbst, dann gibt das von allein eine Richtung vor. Und das ist meine Motivation." Wie also sollten sie Nächstenliebe zum Ausdruck bringen gegenüber Flüchtlingen, die nur auf der Durchreise sind?

Ein neues Kreuz aus dem Sägewerk

"Ich hatte die einzige Idee hatte, die noch ging", erzählt Ginsberg schmunzelnd: "Teddybären!" Der pensionierte Kriminalbeamte wusste, dass traumatisierten Kindern fürs Erste mit Stofftieren ganz gut zu helfen ist. "Also haben wir versucht, für jedes Kind hier einen Teddybär an Land zu ziehen, damit sie was zum Kuscheln haben." Die Aktion gelang mit finanzieller Hilfe der örtlichen Sparkasse. Dann kamen Spielsachen und Kleider dazu. Die evangelische Kirchengemeinde Burbach startete eine Sammlung, und es scheint, als hätten sämtliche Burbacher ihre Dachböden und Kleiderschränke komplett ausgeräumt: Im Kleiderlager stapeln sich Hosen, Pullis und Jacken bis unter die Decke, unzählige Kartons mit Schuhen stehen auf dem Fußboden. Auch das extra eingerichtete Spendenkonto ist gut gefüllt.

Sozialarbeiter George Batawila im Moscheeraum: "Wenn der Mensch durch Schwierigkeiten geht, wendet er sich sofort an Gott."

Als nächstes soll ein Andachtsraum in der Kaserne eingerichtet werden. George Batawila, ein aus Togo stammender katholischer Sozialarbeiter, kümmert sich darum. Die "Moschee" für die muslimischen Flüchtlinge ist bereits fertig: Ein kleiner Raum mit blauem Teppich. Bewohner haben arabische Schriftzüge an die Wände gemalt. "Die Leute, die ankommen, fragen mich: 'In welcher Richtung ist Mekka?' Sie fragen mich, obwohl ich Christ bin", lacht Batawila. Er zeigt nach Südsüdosten. Das Projekt "Moschee" läuft gut. Nun also die "Kirche".

George Batawila hat zwei Räume ausgeguckt, der größere von beiden gefällt der kleinen Andachtsraum-Delegation – Einrichtungsleiter Ricardo Sichert ist auch dabei – besser als der kleinere. Noch ist der Raum leer. "Ich brauche alles, was es in einer Kirche gibt, so dass man Gottesdienst feiern kann", sagt George Batawila. "Du brauchst also ein großes Kreuz", stellt Hans-Peter Ginsberg als erstes fest und schreibt im Geiste schon eine Besorgungsliste. "Und ein Musikinstrument." Außerdem ein Rednerpult, ein bisschen Deko und rund 20 Stühle. "Vielleicht lasse ich direkt im Sägewerk ein neues Kreuz machen", überlegt Ginsberg laut und verspricht, eine Gitarre vorbeizubringen. "Ich glaube, das kriegen wir hin."

Einladen und informieren - aber keine Mission

In der Passionszeit und zu Ostern sollen hier christliche Andachten stattfinden. Vor Weihnachten hat Ginsberg bereits kleine Feiern im Speisesaal gehalten, sie waren gut besucht. "Ich will den Menschen erklären, was Ostern in unserer Kultur bedeutet – und dazu auch die Muslime einladen." Zwei Jugendchöre aus den umliegenden Orten stehen schon in den Startlöchern, um mit den Flüchtlingen Musik zu machen. Missionsveranstaltungen sollen es ausdrücklich nicht werden, das würde auch der Einrichtungsleiter nicht dulden. "Wir werden kurz und bündig etwas zum Thema sagen, aber wir werden niemanden zur Bekehrung aufrufen", erläutert Hans-Peter Ginsberg. "Falls einer weitergehende Gespräche oder Literatur wünscht, dann können wir auch sowas noch besorgen."

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Diesen Ansatz unterstützt Ricardo Sichert gern: "Wir leben hier in einem christlich geprägten Land und wir haben hier im Alltag Traditionen mit christlichem Hintergrund, wie zum Beispiel den Nikolaus." Der Einrichtungsleiter ist selbst konfessionslos, meint aber: "Jeder soll seine Religionsfreiheit ausleben dürfen und können, ob er jetzt evangelisch oder katholisch ist oder Muslim oder Hindu oder was auch immer." Andachtsräume sind dafür überaus wichtig, findet George Batawila, der schon in zwei anderen Einrichtungen als Sozialarbeiter tätig war. Auch dort gab es kleine "Moscheen" und "Kirchen". "Ich habe gesehen, dass die Leute total hoffnungslos hierher kommen, die haben Krieg und schwere Situationen erlebt, manchmal sind die Familien getrennt worden. Ob man an Gott glaubt oder nicht – wenn der Mensch durch Schwierigkeiten geht, wendet er sich sofort an Gott", so seine Erfahrung.

"Was hindert es mich, dass ich mich taufen lasse?"

Das tun sie tatsächlich, und manche haben es sogar sehr eilig. Zwischenzeitlich sind einige Christen unter den Flüchtlingen – meist Iraner – in den beiden evangelischen Kirchen im Ort aufgetaucht. "Das war eine ganz spannende Sache", erzählt Pfarrer Thomas Walter. "An einem Sonntag im Herbst nach dem Gottesdienst sprach mich eine Iranerin an, ob sich sie taufen könnte. Jetzt sofort. Das war mir ein bisschen plötzlich." Die Frau war im Iran in einer Untergrundkirche zum Glauben gekommen, dort werde der Übertritt vom Islam zu Christentum mit lebenslanger Haft bestraft, erläutert Pfarrer Walter. "Jetzt in Deutschland fragte sie sich: 'Was hindert es mich, dass ich mich taufen lasse?'" Mit Vergnügen zitiert der Pfarrer den Vers aus der Apostelgeschichte. Er taufte die Frau – nach einem Vorgespräch – am Reformationstag 2013.

Mittlerweile sind mehr als 20 weitere Flüchtlinge aus der Notaufnahme-Einrichtung in den Burbacher Kirchen getauft worden. Bei manchen musste es schnell gehen, weil sie nur wenige Tage blieben, Vorgespräche waren kaum möglich. Die Burbacher Pfarrer tauften die Flüchtlinge spontan nach den Gottesdiensten - mit Übersetzung per Handy. "Bisher habe ich jeden getauft, der das wollte", sagt Thomas Walter und fügt hinzu: "Uns als Gemeinde hat das gut getan. Da wird nachvollziehbar, warum es Asylrecht geben muss!" Die Flüchtlinge ziehen weiter - was aus ihnen wird, bekommen die Burbacher Christen nicht mehr mit. Sie tun, was sie können.