Wir alle kennen diese liebenswerten Geschichten aus den Medien von Frauen in Nigeria oder Bolivien, die sich zur Betreiberin einer Garküche oder eines Bauchladens hochgearbeitet haben und ihre Familien versorgen. Doch die Wirklichkeit sieht oft anders aus. In einer Übersichtsstudie kommt das renommierte Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln zu einem vernichtenden Schluss: "Bislang ist keine positive Wirkung der Mikrofinanz nachzuweisen."
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Ute Straub: Die Kritik an Mikrofinanzen ist in weiten Teilen durchaus berechtigt. Eine Armut reduzierende Wirkung vor allem der Mikrokredite konnte in vielen Programmen nicht nachgewiesen werden. Trotzdem kann dieses Instrument grundsätzlich funktionieren und es kann den Menschen nützen.
Mikrokredite scheinen vor allem ein gutes Geschäft für Banken zu sein. Etwa 90 Milliarden Dollar an Kleinstkrediten werden jährlich vergeben. Der durchschnittliche Zinssatz liegt laut Max-Planck-Institut bei rund 27 Prozent, und der mexikanische, börsennotierte Branchenführer Compartamos Banco soll Jahreszinssätze bis zu 195 Prozent verlangen.
Straub: Ein Jahreszinssatz von bis zu 195 Prozent erscheint mir in der Tat astronomisch hoch. Tatsächlich sind aber Mikrokredite teurer als langfristige, größere Kredite. Der Grund sind die im Verhältnis zur Kredithöhe hohen Bereitstellungskosten.
"Wird davon eine Kuh gekauft, werden Bäume gepflanzt oder fließt das Geld in Ausgaben des täglichen Lebens?"
Typisch scheint ein Mikrokredit zu sein, der kürzer als ein Jahr läuft, aber in wöchentlichen Raten zurückzuzahlen ist. Das klingt nicht nach einem sinnvollen Modell. Was könnten die Anbieter besser machen?
Straub: Die rigiden Rückzahlungsmodalitäten einiger Anbieter sind ein Problem. Es wird auch immer wieder über Gewalt beim Geldeintreiben berichtet. Unter anderem deswegen halten wir nur Mikrokredite für sinnvoll, die von den Kreditnehmern in Gruppen selbstverwaltet werden.
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Die Schaffung vieler Kleinstbetriebe schafft noch keine wirkliche wirtschaftliche Entwicklung, sondern eine klassische Basar-Ökonomie. Kann die Probleme der Menschen lösen, die von Hunger, Wasserknappheit und den Folgen des demografischen Wandels betroffen sind?
Straub: Ganz klar können Mikrokredite keine strukturpolitischen Maßnahmen ersetzen und auch keine Sozialpolitik. Sie können ergänzend dazu wirken. Ich sehe den Mikrokredit als gutes Mittel zur Selbsthilfe…
…wenn die Rahmenbedingungen stimmen?
Straub: Ja. Entscheidend ist dann nicht unbedingt die Höhe des Zinssatzes, sondern immer der Verwendungszweck. Das ist der Schlüssel zur Sache: Wofür der Kredit verwendet wird! Wird davon eine Kuh gekauft, werden Bäume gepflanzt oder fließt das Geld in Ausgaben des täglichen Lebens, weil das verfügbare Einkommen nicht ausreicht? Es braucht eine Art Business-Plan und eine Vorab-Prüfung durch eine Organisation mit Ortskenntnis. Manchmal ist eine Idee gut, aber das Umfeld dafür ungünstig. Die Crux an der Sache ist, dass Mikrokredite viel zu oft eingesetzt werden, obwohl der Kern des Problems an anderer Stelle liegt. Wenn beispielsweise der afrikanische Markt mit Billig-Hähnchen-Importen aus Europa überschwemmt wird, dann hilft dem Bauern auch kein Mikrokredit.
"Am wenigsten umstritten sind Produkte, die den Menschen ermöglichen, zu sparen"
Brot für die Welt betreibt keine Mikrofinanzprojekte im engen Sinne. Aber Brot für die Welt unterstützt arme und ausgegrenzte Menschen in 100 Ländern - indirekt auch mit Mikrokrediten.
Straub: Unsere Partner in den Schwellen- und Entwicklungsländern bekommen in der Regel Zuschüsse, keine Kredite. Allerdings unterstützen wir einige Partner, die wiederum selbstfinanzierte Mikrofinanz-Komponenten in ihren Programmen haben. Mikrofinanzen sind bei unseren Partnern selbstverwaltet und immer eingebettet in umfassendere Programme zur Ernährungssicherung und einkommensschaffender Maßnahmen.
Wie kann so etwas konkret aussehen?
Straub: Die "Christian Commission for Development in Bangladesh" (CCDB) wird von uns gefördert, um Basisfrauengruppen aufzubauen. Diese verwalten als Kooperative einen eigenen Kreditfonds. Die Basisgruppen entscheiden über die Kriterien der Kreditvergabe und Rückzahlungsmodalitäten. Das kommt dem Bedarf der sehr armen Mitglieder der Gruppen entgegen. Unser Partner CCDB begleitet diese Basisfrauengruppen, klärt sie über ihre Rechte auf, unterstützt bei der Kreditvergabe, hilft Landrechte einzufordern und engagiert sich gegen Gewalt gegen Frauen. Außerdem fordert CCDB von den dörflichen Verwaltungen eine transparente Rechenschaftslegung.
Spender, Geber und Kreditnehmer sollten also ganz genau hinschauen.
Straub: Ja, das gilt für alle Mikrofinanzprodukte, die ja neben Krediten oft auch Versicherungen und Sparmöglichkeiten umfassen. Ernteausfallversicherungen für Kleinbauern beispielsweise klingen erst mal sehr gut. Teilweise sind aber üble Bedingungen daran geknüpft, wie der Kauf eines bestimmten Saatgutes. Am wenigsten umstritten sind Produkte, die den Menschen ermöglichen, zu sparen. Dem Mikrosparen wird im Allgemeinen eine positive Entwicklungswirkung konstatiert.