Foto: dpa/Sergey Dolzhenko
Demonstranten stehen in Kiew auf einer Barrikade aus Autoreifen. Das Foto wurde am Freitag aufgenommen.
Stellt der Kiewer Kompromiss das Volk zufrieden?
Regierungschef Asarow tritt zurück, undemokratische Gesetze werden annuliert
Nach wochenlangen Protesten der ukrainischen Opposition gegen die prorussische Politik nimmt Regierungschef Asarow seinen Hut. Der Schritt gilt als bisher größtes Zugeständnis der gegenwärtigen Machthaber. Der deutsche evangelische Pfarrer in Kiew, Ralf Haska, äußert indes Zweifel, dass sich das protestierende Volk mit dem Kompromiss zufriedengibt.
28.01.2014
dpa/evangelisch.de

Im ukrainischen Machtkampf hat Regierungschef Nikolai Asarow nach wochenlangem Druck der proeuropäischen Opposition seinen Rücktritt eingereicht. Er wolle mit seinem freiwilligen Abgang helfen, einen Ausweg aus der schweren Krise des Landes zu finden, sagte der 66-Jährige am Dienstag nach Angaben seines Pressedienstes in Kiew. Asarows Rücktritt gehört zu den Minimalforderungen der proeuropäischen Opposition um den Politiker und Boxchampion Vitali Klitschko. Mit Asarow trat gemäß der ukrainischen Verfassung die gesamte Regierung zurück.

Bereits mehrere Tote

Als weiteres Zugeständnis an die Opposition nahm das Parlament in Kiew auch mehrere undemokratische Gesetze zurück, die erst am 16. Januar verabschiedet worden waren. Als der prorussische Präsident Viktor Janukowitsch die umstrittenen Gesetze unterzeichnet hatte, zog dies gewaltsame Proteste mit mehreren Toten nach sich. Nun stimmten 361 von insgesamt 412 registrierten Abgeordneten für die Annullierung von neun Gesetzen.

###mehr-artikel###Haska zeigte sich in einem Gespräch mit evangelisch.de erfreut über die Entscheidungen vom Dienstag. Diese seien ein "erster Schritt", um den Menschen auf dem Maidan und dem ganzen Volk entgegenzukommen. Allerdings habe Janukowitsch die Aufhebung der Gesetze noch nicht unterschrieben. "Das muss noch passieren." Auch Asarows Rücktritt tritt erst in Kraft, wenn der Präsident die entsprechenden Dokumente unterzeichnet.

Der Geistliche zeigte sich zugleich skeptisch über die Reaktion der Ukrainer: "Ich befürchte, dass das dem Volk auf der Straße nicht ausreicht." Die Demonstrierenden sprächen sich für einen Rücktritt von Janukowitsch selbst aus. Haska sagte, gegenwärtig sei die Situation in Kiew ruhig. "Ich bin heute morgen um sieben Uhr über den Maidan gelaufen. Gott sei Dank war es ruhig. Alle schauen, was im Parlament passiert." Der Pfarrer äußerte die Hoffnung, dass es nicht zu weiteren Eskalationen kommen werde, etwa die Ausrufung des Ausnahmezustands.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) begrüßte die Ankündigung Asarows als ein richtiges Signal. "Der Rücktritt des Ministerpräsidenten könnte den Eintritt in die Suche nach politischen Kompromissen möglich machen", sagte er in Berlin. Zusammen mit dem niederländischen Außenminister Frans Timmermans warb Steinmeier für eine enge Abstimmung innerhalb der Europäischen Union. "Natürlich müssen wir über Sanktionen nachdenken. Sie werden nicht zu vermeiden sein, wenn die Lage nicht veränderbar ist."

Dem Parlament zuvorgekommen

Asarow war mit seinem Schritt der Sondersitzung des Parlaments in Kiew zuvorgekommen. Ursprünglich hatten die Abgeordneten über einen neuen Misstrauensantrag gegen die Regierung entscheiden sollen. Asarow hatte das Amt seit vier Jahren inne - und zuletzt zwei Misstrauensanträge der Opposition überstanden. Er begründete seine nunmehrige Entscheidung auch mit der zunehmend schwierigen Lage in der Ex-Sowjetrepublik. "Die Konfliktsituation, die sich im Land eingestellt hat, bedroht die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Ukraine und gefährdet die gesamte ukrainische Gesellschaft und jeden Bürger", hieß es in seinem Schreiben.

Ein Nachfolger für das Amt des Ministerpräsidenten wurde zunächst nicht genannt. Die proeuropäische Opposition hielt sich mit Kommentaren zurück. Er wolle erst die Entlassungsurkunde sehen, sagte der Oppositionspolitiker und frühere Außenminister Arseni Jazenjuk. Der Fraktionschef der Vaterlandspartei der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko hatte am Wochenende ein Angebot der Machtführung abgelehnt, die Regierung zu leiten.

Zwischen Russland und der EU

Die Proteste der Opposition hatten sich im November entzündet, nachdem Staatschef Janukowitsch auf Druck Russlands ein bereits fertig ausgehandeltes Abkommen über eine engere Zusammenarbeit mit der EU nicht unterzeichnet hatte. Klitschko und Jazenjuk hatten der ukrainischen Regierung vorgeworfen, den Menschen eine mögliche Zukunft in der EU vorzuenthalten.

###mehr-links###Als die ukrainische Führung Mitte Januar zusätzlich noch in Russland angewandte und international kritisierte Gesetze zur Einschränkung demokratischer Freiheiten ohne Debatte im Parlament übernommen hatte, schlugen die Proteste in Gewalt gegen die Regierung um. Auch die USA und Russland hatten die zerstrittenen Parteien aufgefordert, auf dem Verhandlungsweg eine friedliche Lösung zu finden.

Außerdem gibt es nach den gewaltsamen Protesten ein Angebot an die Opposition, die Inhaftierten im Zuge einer Amnestie freizulassen und strafrechtlich nicht weiter zu verfolgen. Allerdings fordert die Regierung im Gegenzug die Räumung der in Kiew sowie anderen Städten des Landes besetzten Straßen und öffentlichen Gebäude.