Eine Teheraner Familie beim Nationalsport des Landes: Picknicken
Foto: Fabian Köhler
Eine Teheraner Familie beim Nationalsport des Landes: Picknicken
Revolution im Picknickkorb: Vom Leben im Iran
Frauen ohne Kopftuch, Chatten auf Facebook, westliche Musik: Die meisten Teheraner leben längst, wie sie wollen. Einblicke in das Lebensgefühl junger Menschen in Teheran.

Er ist pleite, hasst Religion und liebt Picknicks auf Grünstreifen zwischen zwei Schnellstraßen: "Ich bin einfach ein typischer Iraner", sagt Behnam, grinst und packt den übriggebliebenen Auberginenbrei zurück in den Picknick-Korb. Drei Stunden sitzen er und seine Freunde schon beim Abendessen am Rande des Teheraner Busbahnhof, nun verglüht die letzte Kohle der Wasserpfeife. "Ich muss in die Klapse, denn du bist meine Krankheit", singt Rihanna ein letztes Mal aus dem Smartphone. Sie meint wohl irgendeine verflossene Liebe. Aber die Liedzeile würde auch zum Leben in Irans Hauptstadt passen.

Picknick ist eine Art Nationalsport in Iran und Behnam wahrscheinlich einer seiner besten Stürmer. "Würden Iraner soviel arbeiten wie picknicken, wären wir das mächtigste Land der Welt", schreit er, während sein Bastkorb am Motorradlenker gegen ein vorbeifahrendes Taxi schlägt. Zwanzig Minuten Todesangst durch Gegenverkehr und über Fußwege dauert es, bis seine Honda in den Hof eines Plattenbaus einbiegt. Hier wohnt der 20-Jährige mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern. "Die Wohnung hat uns die Revolution gebracht", sagt er. "Das war‘s aber auch. Ich will nur weg von hier."

Wenn sich Rohani nicht beeilt, wird die Milch schlecht

Die Frustration, die Behnam verspürt, ist zu einer Art kollektiven Identität der Jugend Irans geworden: Acht Jahre Ahmadinedschad und Sanktionen haben die Zustimmung zur "ewigen Revolution" auf ein historisches Tief gebracht. Die Weltbank spricht von 40 Prozent Inflation, Behnams Mutter davon, dass Kochgas schon wieder teurer geworden sei. "Rohani soll sich besser beeilen, sonst wird die Milch schlecht", sagt sie und schlägt die massive Tür ihres amerikanischen Kühlschranks zu. Der stammt noch aus der Zeit des Schah, ihr Gehalt scheinbar auch: 200 Euro verdient sie als Krankenschwester. Immerhin vier Mal so viel wie ihr Sohn. 50 Euro bekommt Behnam als Wehrdienstleistender bei der iranischen Armee.

Der zweitliebste Zeitvertreib vieler Iraner: Motorradfahren

Es war eine ganze Welle von Reformen, die Irans neuer Präsident, Hassan Rohani, nach seiner Wahl im Juni letzten Jahres versprach: Westliche Unternehmen sollten ins Land geholt, das staatliche Symphonieorchester wiedereröffnet werden. Zensurgesetze sollten fallen, das Strafrecht humaner gestaltet werden. Schmuggel und Schwarzmarkt sollten bekämpft, Facebook erlaubt werden. Das bisherige Ergebnis prangt über Behnams vergilbter Tastatur. Auf einer Website steht die freundliche Aufforderung, doch bitte woanders hin zu surfen. Daneben leuchten Blumenfotos. "Zensur mit einem Lächeln", nennt das Behnam. Die Facebook-Nachricht von seiner Freundin erhält er trotzdem.

Ein kleines Programm der Deutschen Welle lässt Behnam an der Zensur des Staates vorbei surfen. "Das hat jeder", sagt er. 20 Millionen Iraner sind auf Facebook und Twitter angemeldet, unter ihnen auch viele Regierungspolitiker. Es ist nicht das einzige Beispiel für die allgegenwärtigen Widersprüche, die es so schwer machen, das Land vom Westen aus zu begreifen: Theokratie versus Demokratie, islamische Gesetzgebung versus liberaler Alltag. Von Harry Potter bis Eric Clapton, vom Vokuhila-Frisuren bis zu Hunden als Haustieren: Die Liste von Dingen, die irgendwann in Iran einmal verboten wurden, ist so endlos wie skurril.

Satellitenschüsseln unter Plastikplanen

Doch "von den meisten Verboten, merken wir nie etwas", sagt auch Behnams Freund Ali. Der sitzt im Nachbarzimmer vor dem Flachbildfernseher und schaut die persische Variante der britischen BBC. Dass das Programm wie sämtliche Satellitensender in Iran eigentlich verboten ist, interessiert weder ihn noch die Polizei. Früher hätten die Leute ihre Satellitenschüsseln noch unter Plastikplanen versteckt, sagt er. "Heute kümmert das niemanden."

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"When you hold me, I’m alive. We’re like diamonds in the sky": Es ist sieben Uhr morgens, als Rihanna Behnam von seiner Matratze klingelt. In der Küche repariert seine Mutter mit Klebeband den abgebrochenen Deckel des Gefrierfaches. "Wie sollen wir Atomkraftwerke bauen, wenn wir nicht einmal Kühlschränke hinkriegen?", lacht sie und drückt Behnam ein Stück Sesambrot in die Hand. "Wer Teheran verstehen will, muss U-Bahn fahren", sagt der, schlüpft in seine Lederjacke und rennt los.

Dutzende Meter unter dem selbstmörderischen Verkehr liegt das modernste U-Bahnnetz des Mittleren Osten. Für rund 15 Cent verbindet die rote Linie den reichen Teheraner Norden mit dem wirtschaftlich armen Süden. In der Mitte warten die Gradmesser iranischer Hoffnung mit dicken Papierbündeln in der Hand. "Wenn du wissen willst, wie die Atomverhandlungen gerade laufen, musst du einfach nur nach dem Wechselkurs fragen", erklärt ein zu früh ergrauter Mann am Ferdosi-Platz. Und dieser steigt seit Monaten kontinuierlich.

Die Kopftücher sitzen locker

Ein paar Straßen weiter wartet in einem Café Behnams Freundin Farah. Ein Poster der Sexpistols hängt an der Wand, die Bedienung spricht schlechtes Englisch mit gutem amerikanischem Akzent. Am letzten Zipfel des Pferdeschwanzes hält eine Haarspange bei Farah den iranischen Widerspruch fest, später am Abend legt sie das Kopftuch ganz ab. Im November letzten Jahres wies Rohani Polizeikadetten an, den Kopftuchzwang nicht mehr durchzusetzen. Hinter verschlossenen Türen hielten sich viele iranische Frauen sowie schon längst nicht mehr daran.

Rohani will den Sittenkodex für Frauen und Männer lockern. In Cafés wie diesem treffen sie sich längst ohne staatliche Erlaubnis.

"Iran ist nicht so frauenfeindlich wie alle denken. Wir sind hier nicht in Saudi-Arabien", sagt Farah energisch. In Paris hat sie sich für ein Literaturstudium beworben. Sie will weg. Und "wiederkommen, um mein Land aufzubauen". Auch Behnams Frustration ist nicht so groß wie es auf den ersten Blick scheint. "Es ist die Angst wieder enttäuscht zu werden", sagt er mit einer Malzbierflasche in der Hand.

Die letzte Enttäuschung ist gerade erst vier Jahre her: Als Zehntausende im Jahr 2009 gegen die Wiederwahl Ahmadinedschads protestierten, verfolgte er die Demonstrationen lediglich auf BBC. Im Gefängnis landete er trotzdem. Ein Freund war auf einer der Demonstrationen festgenommen worden: "Im Knast sagte er meinen Namen." Vier Tage später war Behnam wieder frei. Sein Freund sitzt bis heute ein.

Auch ohne Revolution stimmt der Beat

Durch Risse im Beton tropft stinkendes Abwasser, als Behnam in der Tiefgarage seines Plattenbaus an seinem Motorrad herumschraubt. Am Lenker hängt wieder der Picknickkorb. Die Fahrt geht vorbei an modernen elektronischen Straßenschildern und Bildern von "Märtyrern" des Iran-Iraks Kriegs. Über neu verlegte Gehwegplatten und Ampeln, die genauso defekt sind wie der Scheinwerfer an Behnams Motorrad. "Teheran ist wie...", schreit Behnam. Das Knattern des Motors machen seine Worte unverständlich, bis er eine halbe Stunde später an einer Klippe zum Stehen kommt. "Teheran ist wie mein Motorrad: alt, hässlich und eigentlich nicht zu reparieren. Aber es gehört dir. Das wirfst du nicht einfach weg."

"Dach von Teheran" heißt der Aussichtspunkt, an dem Behnam und seine Freunde sich an diesem Abend zum Picknick treffen. Dieses Mal haben sie genügend Kohle für die Wasserpfeife dabei. Bis zum Sonnenaufgang rauchen sie und essen Auberginenbrei aus einer Plastikdose. Als ein paar Dutzend Muezzine aus der Ferne zum Morgengebet rufen, singt Rihanna vom "Adrenalin unter ihrer Haut". Mach mal lauter, ruft einer. "Es ist eine Sucht. Musik ist alles was ich brauche", krächzt das Smartphone. Behnam steht auf und nimmt seine Freundin an die Hand: "Knutschen kann man dazu nicht. Aber der Beat stimmt."