Über 12 Millionen Zuschauer hatte dieser "Tatort" bei seiner TV-Premiere vor drei Jahren. Dabei ist es ein schmaler Grat, auf dem die Autoren der Krimis aus Münster regelmäßig wandeln: Natürlich macht die Rivalität zwischen den Hauptfiguren den großen Reiz der Filme aus; aber die Gemeinheiten, mit denen sie einander zu beglücken pflegen, dürfen nicht wichtiger werden als der Krimi. Deshalb sind die Fälle für Hauptkommissar Thiel (Axel Prahl) und den Rechtsmediziner Boerne (Jan Josef Liefers), dessen Rolle regelmäßig zwischen der eines kriminalistischen Kontrahenten und eines Verbündeten changiert, gern besonders verzwickt.
Ein kapitaler Kunstfehler
Magnus Vattrodt nutzt die Krimiebene diesmal zudem, um die genüsslich zelebrierte Hassliebe zwischen dem volkstümlichen Polizisten und dem großspurigen Mediziner auf die Spitze zu treiben. Thiel dünstet seine Selbstzufriedenheit regelrecht aus, als ausgerechnet der selbsternannten Koryphäe Boerne ein kapitaler Kunstfehler nachgewiesen wird: Im Auto eines Mordopfers werden die Fingerabdrücke eines Politikers gefunden, den der Pathologe vor 18 Monaten für tot erklärt hat. Und das ist nicht die einzige Herausforderung für den Professor: Eines Abends lauert ihm eine Steuerfahnderin (Ulrike Tscharre) auf. Die Dame sieht allerdings derart gut aus, dass Thiel umgehend von Visionen heimgesucht wird und vor lauter Verzückung nicht mehr geradeaus reden kann.
Erneut sind es also vor allem die komischen Szenen, denen dieser "Tatort" aus Münster seinen enormen Unterhaltungsfaktor verdankt. Natürlich wäre es Unfug zu behaupten, Matthias Tiefenbacher ("Freilaufende Männer") habe diese Momente mit besonderer Hingabe inszeniert; aber die todernst vorgetragenen Dialoge mit ihren verzögerten Pointen wären eine Zierde für jede Komödie. Das Familienleben der Hinterbliebenen des Politikers, das den dramaturgischen Kontrapunkt zum Comedy-Strang bildet, wirkt gerade durch den Kontrast besonders bedrückend: Die dem Alkohol recht zugetane Witwe (Victoria Trauttmansdorff, wie so oft als verschattete Frauenfigur) und Tochter (Henriette Confurius) haben beim Großvater (Lambert Hamel) Unterschlupf gefunden; auch wenn man sich des Gefühls nicht erwehren kann, dem Alten seien seine Fische wichtiger als Tochter und Enkelein.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Dazu passt, dass sein rundum verglastes Haus selbst wie ein Aquarium wirkt, was dem bloß vermeintlich Verblichenen sehr zupass kommt: Dank einer beweglichen Kamera kann er zumindest aus der Distanz den Kotakt zu seiner ahnungslosen Familie aufrechterhalten. Dieser Teil der Geschichte ist ohnehin in jeder Hinsicht deutlich durchsichtiger als der eigentliche Fall, in dem es um eine Briefkastenfirma in Bulgarien und veruntreute Subventionen geht. Die beiden Ebenen treffen sich in Person des Drahtziehers, denn der Schurke ist in diesem Fall keineswegs die "Kartoffelkaiser" genannte regionale Agrargröße, auch wenn zunächst vieles darauf hindeutet. Wen es nicht stört, dass Martin Farkas mit seiner Kamera ein bisschen viel zoomen und schwenken muss, wird von "Herrenabend" wunderbar unterhalten.