Am Mittwochabend stand Mouhanad Khorchide am Rednerpult. Auf Einladung der Landeszentrale für politische Bildung sprach er vor Publikum über das, womit er sich als islamischer Theologe und Wissenschaftler beschäftigt und das ihm sehr großen Ärger beschert hat: die Theologie der Barmherzigkeit.
Khorchide hatte den Termin bereits vor längerer Zeit zugesagt und referierte im Rahmen einer Lehrerfortbildung zum Thema "Zwischen Islam und Islamismus!? Lebenswelten junger Musliminnen und Muslime". Zwei Tage zuvor, am Montagabend, hielt er an der Universität in Göttingen einen Vortrag, in der vergangenen Woche referierte er in Wien. Es sind bemerkenswerte Termine, weil Khorchide aufgrund der schwerwiegenden Vorwürfe gegen ihn in den vergangenen drei Monaten viele Einladungen zu Vorträgen oder Podiumsgesprächen abgesagt hatte.
Die Kritik an Khorchide begann mit einem Beitrag von Aiman Mazyek auf Islam.de vom 28. November 2013. Der Vorsitzende des Zentralsrats der Muslime in Deutschland warf Khorchide darin vor, eine "assimilierte Islamlehre" zu betreiben. Im Dezember ging dann der Koordinierungsrat der Muslime (KRM) an die Öffentlichkeit und erklärte: Die Ansichten des Professors, seine Interpretation des Korans und seine Lehre seien nicht vereinbar mit den theologischen Grundsätzen der Muslime. Khorchide sei als Leiter des Instituts für islamische Theologie an der Universität Münster nicht tragbar, an dem unter anderem auch Lehrer für den islamischen Religionsunterricht ausgebildet werden. Die islamischen Verbände sprachen dem Professor in einem umstrittenen Gutachten ihr Vertrauen ab und fordern dessen Absetzung.
"Böswillige" Vorwürfe gegen Khorchide
Dieses Gutachten sollte die theologischen Positionen und die wissenschaftliche Arbeitsweise des aus dem Libanon stammenden und in Wien promovierten Professors unter die Lupe nehmen. Das Ergebnis bestätigte die Position der islamischen Verbände und überraschte kaum jemanden aus Fachkreisen, auch weil die Autoren den Islamverbänden nahestehen.
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An dem Papier selbst gab es ebenfalls Kritik. Der Freiburger Theologe Bernhard Uhde äußerte sich kritisch zu dem Gutachten. Er zweifelte die Neutralität des Gutachtens an und kritisierte, dass Gutachten werde "zu einer Art Plädoyer, dessen Verfasser sich dem Vorwurf von Befangenheit aussetzen müssen." Inhaltlich liege Khorchides Position "nicht außer dem Rahmen der islamischen Theologie", schlussfolgerte der Religionsphilosoph.
Aber nach dem KRM-Gutachten folgten weitere Vorwürfe. Den offiziellen Verlautbarungen nach geht es in der Auseinandersetzung um theologische Grundsatzfragen und Glaubensinhalte sowie die wissenschaftliche Methode von Khorchide. Angezweifelt werden Khorchides Kompetenzen und die Gültigkeit seiner akademischen Abschlüsse. Außerdem wirft Abdel-Hakim Ourgh, Studienleiter des Arbeitsbereichs Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, Khorchide ein Ideen-Plagiat vor: Er habe die Ideen des des syrischen Autors Muhammad Sharour übernommen.
Warum die Frage nach Khorchides Qualifikation, an einer deutschen Hochschule zu lehren, erst vier Jahre nach seiner Berufung aufgeworfen wurde, bleibt offen. Ebenso unbeantwortet bleibt auch die Frage, warum die islamischen Verbände erst mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung von "Islam ist Barmherzigkeit" Khorchides theologische Lehre beanstanden.
Andere islamische Theologen halten sich bedeckt
Auch gegen den Vorwurf des Ideen-Plagiats gibt es bereits deutlichen Widerspruch, diesmal vom Heidelberger Islamwissenschaftler Thomas Amberg, der über Sharour promoviert hat: "Ein solcher Vorwurf ist mit Blick auf die diffusen und wenig überzeugenden Argumente des Freiburger Pädagogen Abdel-Hakim Ourghi nichts als böswillig zu nennen. Inhaltliche Ähnlichkeiten zwischen Khorchide und Shahrour liegen einzig darin begründet, dass deren Anliegen ähnliche sind."
Nun hat sich Mouhanad Khorchide selbst an die Öffentlichkeit gewandt. Auf seiner Facebook-Seite schreibt er: "In den letzten Monaten wurde ich zu einer Zielscheibe skandalöser Verleumdungen, auch von Stellen, von denen man erwarten würde, vorbildlich islamische Tugenden und Werte zu vertreten. Ich habe geschwiegen, um mich weiterhin auf meine eigentlichen Aufgaben zu konzentrieren. Ich wollte und will mich auch weiterhin nicht auf dieses Niveau einlassen. Aber ein Vorwurf des Plagiierens geht ein Stück zu weit." Khorchide postete auch die Stellungnahme von Professor Amberg, "damit die Welt weiß, mit welchen Mitteln und durch welche Manipulationen hier versucht wird, meine Person zu diffamieren".
In der Tat kursieren hinter den Kulissen ganz andere Gründe – da ist die Rede von Neid und Missgunst und von Begehrlichkeiten auf die Position des Professors. Öffentlich aussprechen will das aber kaum jemand aus dem Kreis der islamischen Theologen an den deutschen Hochschulen. Anfragen werden abgelehnt oder gar nicht beantwortet.
Kritik am "Medienstar" Khorchide
Als einer der wenigen äußerte sich Ibrahim Salama, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für islamische Theologie der Universität Osnabrück. Zu den Hintergründen der Auseinandersetzung um Khorchide erklärte Salama gegenüber evangelisch.de: "Als Angestellter an einer deutschen oder jeder anderen Universität der Welt muss man als Wissenschaftler auftreten, man fungiert also nicht als Medienstar. Und die absolute Voraussetzung, um Islamische Theologie zu betreiben, sind die entsprechenden Qualifikationen wie Studium, Promotion und Habilitation. Solide ausgebildete Wissenschaftler zeichnen sich durch Bescheidenheit aus." Für Unmut scheinen also auch die mediale Präsenz des Professors und seine Popularität bei der Mehrheitsgesellschaft zu sorgen.
Die Leitung der Universität Münster erklärte dagegen, dass sie "voll und ganz hinter Professor Khorchide" stehe. Das gilt offenbar auch für Studieninteressierte, denn mit mehr als 1.000 Bewerbungen für das laufende Wintersemester sei das Interesse an einem Studium an dem Zentrum für islamische Theologie so groß wie noch nie gewesen, teilte die Universität mit. Khorchide erfülle seine Aufgabe, eine theologische Debatte zu führen. Allerdings hat auch die Studentenvertretung des Münsteraner Instituts ihre Sorge darüber ausgesprochen, nach dem Abschluss eines Studiums an der Uni Münster Probleme mit einer Anstellung zu bekommen.
An einen Rückzug denkt der Leiter des Instituts für islamische Theologie aber nicht. Er kündigte rechtliche Schritte gegen Abdel-Hakim Ourgh an.