Zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Themenjahre ausgerufen. 2014 steht unter dem Titel "Reformation und Politik". Welches Erbe der Reformation ist der Politikerin und Protestantin Schwaetzer besonders wichtig?
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Irmgard Schwaetzer: Luther und die Reformation sind in gewisser Weise "die Erfinder" der Trennung von Staat und Kirche durch die sogenannte "Zwei-Reiche-Lehre". Das war damals revolutionär und macht heute den guten Dialog zwischen Staat und Kirche möglich. Es war mir schon immer wichtig, dass sich Kirche in Politik einmischt. Das gilt nicht für konkrete Vorschläge wie etwa "Ihr wisst, was Ihr am Sonntag zu wählen habt". Aber Kirche muss erinnern an die Maßstäbe des Handelns, die Werte unserer Gesellschaft. Es ist auch ihre Aufgabe zu hinterfragen, ob politische Akteure mit ihren tatsächlichen Handlungen diesen Maßstäben folgen.
Das klingt, als hätten Sie daran manchmal Zweifel.
Schwaetzer: Ich nehme das Beispiel der Flüchtlingspolitik. Ich denke, es ist wichtig, die Bundesregierung daran zu erinnern, dass Deutschland innerhalb der EU eine wichtige Position hat und diese auch für die Durchsetzung einer Willkommenskultur in der EU nutzen kann. Wir müssten innerhalb der EU zu einer anderen Lastenverteilung kommen. Der deutschen Politik muss man dauerhaft die Fragen stellen: Habt Ihr genug getan, um Flüchtlingen in einer Notsituation zu helfen? Habt Ihr genug Menschen aufgenommen und ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht?
Nach Ihrer Wahl zur Präses der EKD-Synode haben Sie das Reformationsjubiläum zu einem Ihrer Schwerpunkte erklärt. Nun waren Sie kürzlich in Wittenberg und haben in Ihrem Gruß im Goldenen Buch der Stadt geschrieben, es sei bis 2017 noch "ein weiter Weg". Wo besteht besonderer Handlungsbedarf?
Schwaetzer: Drei Jahre sind ein weiter Weg. Ich habe in Wittenberg von vielen Projekten erfahren, die auf gutem Weg sind, nun aber noch realisiert werden müssen. Die Weltausstellung der Reformation zum Beispiel. Das ist einmal eine Aufgabe der Stadt Wittenberg. Die ist auf einem guten Weg. Die anderen Partner - die evangelische Kirche und die staatlichen Stellen - haben auch schon viel angeschoben, aber für so ein Jahrhundertereignis ist noch viel zu tun, damit sich viele Akteure dazu eingeladen fühlen, sich an der Ausstellung zu beteiligen. Es geht ja darum zu zeigen, welche Schubkraft für die Moderne die Reformation entwickelt hat.
"2017 ist natürlich auch ein Fest der Kirche, aber eben nicht nur ein Fest der Kirche"
Wurde dafür bisher zu wenig getan?
Schwaetzer: Fest steht für mich: Die Zeit bis 2017 wird noch reichen. Man darf jetzt aber auch keine Zeit mehr verstreichen lassen.
Braucht 2017 vergleichbar mit den Themenjahren in der Lutherdekade ein Hauptthema?
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Schwaetzer: 2017 muss bestimmt werden von den großen Projekten. 2017 braucht aber in meinen Augen auch ein Motto. Ich finde, die Dachmarkenkampagne "Am Anfang war das Wort" weist in die richtige Richtung. Das muss jetzt aber noch konkretisiert werden. Die EKD-Synode 2012 in Timmendorfer Strand hat die wichtigen Grundlagen für das Jubiläum formuliert. Das muss jetzt aber noch verdichtet werden, damit wir wissen, wohin die Reise geht.
Der Deutsche Kulturrat hatte der EKD vorgeworfen, dass sie das Reformationsjubiläum zu sehr unter sich ausmache. Haben Sie auch den Eindruck, die Kultur und Zivilgesellschaft bleiben momentan außen vor?
Schwaetzer: Nein, den Eindruck habe ich überhaupt nicht. Ich kann diese Kritik auch nicht nachvollziehen. Wir laden auch in den Vorbereitungsgremien staatliche Stellen und die Zivilgesellschaft ein. Ich würde mir wünschen, dass es Vorschläge beispielsweise vom Kulturrat gibt. 2017 ist natürlich auch ein Fest der Kirche, aber eben nicht nur ein Fest der Kirche. Die Reformation hat weltgeschichtliche Bedeutung. Sie lieferte Anstöße für die Entwicklung der Gewissensfreiheit in der Gesellschaft, für Bildung für alle und anderes mehr - all dies sind Auswirkungen, die wir in der Weltausstellung aus möglichst vielen, auch internationalen Perspektiven beleuchtet sehen wollen.
"Wir müssen zum Ausdruck bringen, welche Freiheit wir gewinnen, wenn wir uns in Gottes Hand begeben"
In der Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum wurde der Blick vor allem nach außen, auf das Wirken der Reformation in die Gesellschaft hinein geprägt. Muss 2017 auch Anlass sein, in das Innenleben, die Strukturen der evangelischen Kirche zu schauen?
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Schwaetzer: Ich glaube, wir können uns mit Blick auf 2017 auch einmal frei machen von der Diskussion um Strukturen. Das ist wichtig, da sind wir auch noch nicht an einem Ende angekommen. Aber es ist nicht alles. 2017 sollten inhaltliche Schwerpunkte im Vordergrund stehen. Ich sehe vier große Themenfelder: Ökumene, Dialog der Religionen, Entchristlichung der Gesellschaft und Fragen der Geschlechtergerechtigkeit.
Das historische Kernland der Reformation liegt in Ostdeutschland, wo die Entkirchlichung besonders weit vorangeschritten ist. Wie wollen sie dort die Menschen von den Jubiläumsprojekten und für Kirche begeistern?
Schwaetzer: Indem wir von unserem Glauben reden. Wir müssen zum Ausdruck bringen, welche Freiheit wir gewinnen, wenn wir uns in Gottes Hand begeben.