v.l.: Dr. Rainer Erlinger, Sara Dahlem, Andreas Responde, Moderator Reinhold Beckmann, Inge Hannemann, Dr. Anne Frey
Foto: NDR/MORRIS MAC MATZEN
v.l.: Dr. Rainer Erlinger, Sara Dahlem, Andreas Responde, Moderator Reinhold Beckmann, Inge Hannemann, Dr. Anne Frey
"Der Gute bekommt nicht immer die Belohnung"
Immer wieder sorgen Gewaltexzesse auf Straßen für Schlagzeilen. Wann ist der richtige Moment einzugreifen? Darüber wollte Reinhold Beckmann mit seinen Gästen diskutieren. Die Sendung lebte von Beispielen, in denen Menschen Zivilcourage bewiesen haben – und dafür zahlen mussten. Der Blick auf das große Ganze ging verloren.

Andreas Responde hatte gerade Feierabend gemacht, als er Hilfeschreie hörte und auf zwei Jugendgruppen traf, die aneinander geraten waren. Trotz vieler Augenzeugen war Responde der einzige, der eingegriff. Brutal wurde er zu Boden getreten und überlebte die Nacht schwer verletzt.

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Auch dreieinhalb Jahre später ringt Responde nach Fassung, als er bei Reinhold Beckmann von diesem Erlebnis erzählt. "Eingreifen, aufklären, aufdecken – wie viel Mut braucht Zivilcourage?" war das Thema der Sendung. Er würde wieder so handeln, sagt Responde zu Beckmann. Dabei leidet der junge Mann noch immer unter den Folgen der Tat. Er fährt lieber mit dem Auto, statt öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Der Geruchssinn des jungen Koches ist beeinträchtigt, seit seine Nase von den Jugendlichen zertrümmert wurde.

"Moralisch hat er sich absolut richtig verhalten", sagt Rainer Erlinger, der im Magazin der "Süddeutschen Zeitung" regelmäßig Gewissensfragen der Leserfragen beantwortet. Respondes Verhalten sei untypisch, sagt der Jurist und Mediziner. Studien zeigten, dass umso weniger Menschen couragiert handeln, je mehr eine Situation beobachteten. "Wir haben Sorge, etwas falsch zu machen", glaubt die Psychologin Anne Frey.

"Warum mischt du dich auch ein?"

Doch was bringt Menschen dazu, einzugreifen, wenn sie Ungerechtigkeiten erleben? "So wurde ich erzogen, das kenne ich gar nicht anders", sagt Responde. Ähnlich antworten auch Sara Dahlem und Inge Hannemann – die beiden Frauen bewiesen in ihren Berufen Mut und Rückgrat. "Was man braucht, ist ein ausgeprägtes Wertesystem", sagt Frey. Gleichzeitig bedürfe es aber auch eines starken Selbstbewusstseins, um für diese Werte einzutreten.

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Auch nachdem er Opfer des brutalen Angriffs geworden war, brauchte Andreas Responde dieses starke Selbstbewusstsein. Menschen aus seinem Umfeld gaben ihm die Schuld an seiner Situation. "Warum mischt du dich auch ein?", hätten ihn einige gefragt. Tatsächlich solle man sich nicht selbst gefährden, wenn man in eine gefährliche Situation eingreift, sagte Anne Frey. Besser sei es, sich Hilfe zu holen – etwa durch andere Passanten oder die Polizei. "Die Mädchen, die das versucht haben, hingen 30 Minuten in der Warteschleife", erzählte Responde. Deshalb hätte das in seiner Situation überhaupt nichts gebracht. Außerdem habe er Abstand zur Gruppe gehalten und sei trotzdem angegriffen worden.

Zivilcourage führte zum Jobverlust

Folgenlos blieb auch das couragierte Handeln von Sara Dahlem und Inge Hannemann nicht. Als Dahlem in einem Fotogeschäft arbeitete, entdeckte sie kinderpornographische Motive und informierte ihren Chef darüber. Als der untätig blieb, ging sie mit den Bildern zur Polizei – daraufhin verlor sie ihren Job.

Inge Hannemann, die als "Hartz-IV-Rebellin" bekannt wurde, ist inzwischen von ihrem Dienst beurlaubt worden. Sie ging als erste Mitarbeitern eines Jobcenters in Deutschland öffentlich gegen die Auswirkungen der Agenda 2010 vor. In einer Petition forderte sie die Abschaffung von Sanktionen und Leistungskürzungen bei Beziehern von Arbeitslosengeld II.

Die drei Fälle zeigen, dass es manchmal sehr viel Mut braucht, um couragiert zu handeln. Responde, Dahlem und Hannemann zahlten alle persönlich für ihren Einsatz. "Wir brauchen einen gesetzlichen Schutz", forderte Frey. Es könne nicht sein, dass Menschen gekündigt werde, weil sie sich für andere einsetzten. "Die Welt ist nicht gerecht. Der Gute bekommt nicht immer die Belohnung. Trotzdem muss man zu dem stehen, was man für richtig hält", sagt Erlinger.

Die Sendung lebte vor allem von den Beispielen. Kann man von echter Zivilvourage nur dann reden, wenn der Mutige persönlich für sein Handeln bezahlt? Diesen Eindruck konnte man im Laufe der Sendung gewinnen – doch die Frage blieb unbeantwortet. Ähnlich wie die Fragen, mit denen die ARD die Sendung beworben hatte: Wann ist der richtige Moment einzugreifen? Sind Whistleblower Helden oder Nestbeschmutzer? Wo ist die Grenze zwischen Zivilcourage und Leichtsinn, zivilem Ungehorsam und Denunziantentum?

So beeindruckend die einzelnen Geschichten auch waren – ein etwas weiterer Blick hätten der 75-minütigen Sendung gut getan.