24 Jahre alt war er, als er dachte: "Jetzt ist mein Lebenstraum geplatzt." Einen anderen Berufswunsch, als die elterliche Drogerie zu übernehmen, hatte er nicht. Doch der Vater hat ihn rausgeworfen, nachdem Götz Werner ihm sagte, dass das Familienunternehmen in einem schlimmen Zustand war: "Mein Vater hätte unmittelbar die Notbremse ziehen und radikale Maßnahmen ergreifen müssen. Doch das wollte er nicht einsehen und sah es als Affront, dass ich so deutlich mit ihm sprach."
###mehr-artikel###
Träume und Wünsche an das eigene Leben gibt es viele, persönlicher sowie beruflicher Art. Sie treiben an, motivieren. Genauso vielfältig können die Situationen sein, die nicht so laufen, wie man es sich vorgestellt hatte: Die Studentin, der seit der Kindheit klar ist: "Ich möchte Ärztin werden", die ein Einser-Abitur schafft, sich durch Latein-Vokabeln quält und dann doch am Physikum scheitert. Das Ehepaar, das sich sehnlich wünscht, Kinder zu bekommen und es nicht klappen mag. Der Mittfünfziger, der plötzlich alleinerziehend dasteht, weil die Beziehung kaputt ging – sie alle hatten eine Idee davon, wie ihr Leben aussehen soll. Erfüllen sich diese Erwartungen nicht, ist es häufig eine bittere Erfahrung und es stellt sich die Frage: Wie weiter?
"Das ist ein Thema, das einem durchaus in jungen Jahren begegnet, nicht erst am Lebensende" erzählt Nike Klüber. Sie ist Referentin im Frankfurter Evangelischen Frauenbegegnungszentrum und bietet dort den Workshop "Wenn Lebensträume platzen" an, ein Coaching, eine Mischung aus Einzel- und Gruppenarbeit. "Ich hörte in meinem Umfeld immer häufiger den Satz: 'Mein Leben habe ich mir ganz anders vorgestellt.'"
Luftballons platzen lassen
Getroffen hat ihn der Rauswurf schon, erzählt Götz Werner. Aber: "Nach zwei, drei Tagen hatte es sich erledigt." Heute ist der dm-Gründer fast siebzig Jahre alt und mehrfacher Millionär. Letztlich ging die Drogerie des Vaters tatsächlich pleite, doch Werner war längst woanders untergekommen. Rückblickend auf die Situation mit seinem Vater meint Götz Werner: "Es ist alles richtig gelaufen." Vielleicht hätte er den Absprung von den väterlichen Strukturen nicht geschafft. Oder er hätte es nicht hingekriegt, die Pleite abzuwenden. Vor allem hätte er vermutlich keine so erfolgreiche Drogeriekette aufgebaut, wenn er es nicht auf eigene Faust versucht hätte. "Für Menschen, die eine unternehmerische Neigung haben, gibt es keine ausweglosen Situationen", davon ist er überzeugt. Die gebe es nur für jene, denen es an Fantasie und Tatkraft fehle. "Wo aber Gefahr ist, wächst auch das Rettende!", zitiert er Friedrich Hölderlin.
"Wenn ein Traum geplatzt ist, trauert man in der Regel dem nach, was verloren gegangen ist und nimmt gar nicht wahr, was alles um einen herum passiert", stellt Nike Klüber fest. "Ich versuche, die Teilnehmer zu motivieren, den Blick zu weiten und sich die Frage zu stellen, was von dem Traum nicht in Erfüllung gegangen ist. Welches Bild, welcher Wunsch, welche Erwartungen stecken dahinter? Und: Kann dieser Wunsch vielleicht in anderer Form gelebt werden?" Dafür lässt sie als Symbol für den verlorenen Traum Luftballons zerplatzen, Bilder malen und macht Mediationsübungen. Außerdem lässt sie die Teilnehmer sich anhand verschiedener Übungen - Phantasiereisen, intuitiven Experimenten und Austausch innerhalb der Gruppe - bewusst werden: Was genau war mein "Lebenstraum"? Wie gehe ich mit Enttäuschungen um? Welche Kompetenzen habe ich? Welche Alternativen gibt es? Dabei zeigt sich häufig, dass auch Ansprüche von außen eine Rolle spielen.
###mehr-info###So auch bei Anja Dittmer. "Lebenstraum geplatzt", titelten manche Zeitungen: Vier Olympia-Teilnahmen erreichte Anja Dittmer, 2012 in London wurde die Triathletin zwölfte. "Natürlich war ich enttäuscht, dass es nicht zu einer Medaille gereicht hat. Ich habe so viel Energie da rein gesteckt. Aber das hat letztendlich jeder und ich habe nicht zu den Top-Favoriten gezählt. Am Ende gibt es eben nur drei Medaillen. Mein Lebenstraum misst sich nicht daran", sagt sie. Fast zwanzig Jahre war die Triathletin Mitglied der Nationalmannschaft und damit, meint Dittmer, habe sich vielmehr ein Lebenstraum erfüllt: "Dass ich so lange diesen Sport ausüben durfte und meine große Leidenschaft, mein Hobby, zum Beruf machen konnte." Sie gibt zu, dass es zwar immer mal wieder Tiefschläge gab: "Dann war ich kurz traurig. Aber ich habe mich auch wieder aufgerappelt. Es blieb keine Zeit, lange in Traurigkeit zu schwelgen, ich musste mich dann auf die nächsten Wettkämpfe konzentrieren."
Sport und Gemeinschaft helfen
Gerade Sportler scheinen sich also nicht allzu lange mit der Situation des Scheiterns oder eines geplatzten Traums aufhalten - das meint auch Götz Werner: Dass es im Leben immer weiter geht und es wiederholt Momente gibt, in denen man über sich hinauswachsen kann, habe er durch den Leistungssport gelernt – er ruderte bis zum Deutschen Jugendmeistertitel.
Doch was, wenn man die Erfahrungen durch den Sport nicht gemacht hat? Nike Klüber meint, dass Zusammenhalt einer Gemeinschaft – Familie, Freunde, die Kirchengemeinde - eine große Stütze sein kann: "Wenn alles um einen herum ins Wanken gerät, dann ist es wichtig zu spüren: Es gibt ein Netz, das mich hält, das mir Orientierung bieten kann und mich so annimmt wie ich bin."
Das ist eine der entscheidenden christlichen Grunderfahrungen. Als Jesus gefangen genommen und hingerichtet wurde, zerplatzten sicherlich für viele seiner Anhänger Lebensträume. Wie viele Hoffnungen hatten sie wohl auf ihn gerichtet, von einem besseren Leben, einer besseren Welt! Und dann, am entscheidenden Ort, in Jerusalem, dem gefühlten Mittelpunkt des Universums, zerbricht all das an einem einzigen Tag. Auch hier half zunächst vor allem die Gemeinschaft mit den anderen, die ebenso enttäuscht und entsetzt waren. Das Netz hielt lange genug, dass sich die ersten Christen einer anderen Hoffnung und einem neuen Lebensziel zuwenden konnten. Für sie stand fest: Das Leben geht weiter – sogar nach dem Tod.