Karl der Große hat in seinem Leben wirklich viele außergewöhnliche Reisen absolviert, von Pfalz zu Pfalz, von Schlacht zu Schlacht und von Lehnsmann zu Lehnsmann. Seine letzte große Reise hätte ihn jedoch erstaunt: Er fuhr mit einem Wehrmachtslastwagen von Aachen nach Siegen, und einige Monate später, mit amerikanischem Fuhrpark, von Siegen nach Aachen, im Gefolge erlesenste Kunstschätze aus der Rheinprovinz, darunter die Domschätze aus Trier, Essen, Siegburg, Bestände aus dem Bonner Beethovenhaus und aus dem Suermondt-Museum und wertvolle Werke alter flämischer Meister, darunter Rembrandts "Mann mit dem Goldhelm". Da war der Herrscher aller Franken aber schon 1141 Jahre tot.
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Die außergewöhnliche letzte Fahrt des großen Frankenherrschers spielte sich in den letzten Kriegstagen des 2. Weltkrieges ab. Die britischen und amerikanischen Truppen hatten gegen Ende des Jahres 1944 die früheren Grenzen des Deutschen Reiches erreicht, Aachen eingenommen und stießen über Sauer- und Siegerland ins Ruhrgebiet vor. Die unersetzlichen Kunstschätze der Rheinprovinz waren zu diesem Zeitpunkt bereits im kleinen westfälischen Siegen angekommen, wo ein altes Bergwerk für die fachgerechte – und bombensichere - Aufbewahrung vorbereitet worden war.
Schon am 1. August 1944, als der Führer höchstpersönlich noch felsenfest an den Misserfolg der alliierten Invasion glaubte, waren einigermaßen defätistische Verhandlungen zwischen der rheinischen Provinzialbehörde und der Stadt Siegen über die Nutzung eines alten Stollens im Siegberg abgeschlossen. Unverzüglich begann man damit, den nassen Gang für die sichere Aufbewahrung der Kunstschätze aus dem Rheinland herzurichten. Man baute eine Trockenanlage und eine Heizung in das 60 mal 9 Meter große provisorische Depot ein, das gleichzeitig als Schutzbunker für die Bevölkerung diente.
Angst im Stollen: "Amerikaner!"
Gegen Bomben half der Stollen, aber nicht gegen den Vormarsch der 8. US-Division. Als die GIs in Aachen einmarschierten, informierte sie der Domprobst Stephany, wo die Kunstschätze verblieben waren, und gleichzeitig darüber, dass man sie gerne wieder haben wolle. Die amerikanischen Kunstschutzoffiziere George Stout und Walker Hancock nahmen die Informationen gerne auf.
###mehr-links### Als die amerikanischen Kunstschutzoffiziere Hancock und Stout den Hainer Stollen betraten, begrüßte sie der offensichtlich völlig verwirrte Bunkerwart mit einem ebenso freundlichen wie unzeitgemäßen "Heil Hitler", während die teils schon seit Tagen im Stollen schutzsuchenden Siegener den Amerikanern mit Angst begegneten: Die jahrelange NS-Propaganda hatte offensichtlich ihre Wirkung hinterlassen.
"In den blassen, schmutzigen Gesichtern, die im Taschenlampenschein auftauchten, stand nichts als Furcht und Hass. Uns voran ging das angsteinflößende Wort, kaum lauter als Flüstern: 'Amerikaner'. Das war das Ungewöhnliche an diesem Vorfall: der Hass und die Furcht in den hunderten von Herzen, hautnah um uns herum, und wir das Ziel", so zitiert der Siegener Heimatforscher Hans-Martin Flender Zeitzeugen. Die Amerikaner wanderten fast einen halben Kilometer durch den Berg, vorbei an den schutzsuchenden Siegenern, bis sie schließlich an der Schatzkammer angekommen waren.
Ein kleines, aber feines Kunstmuseum
Die beiden Amerikaner, der eine ein Spezialist für Restaurierung und Konservierung von Kunstwerken, der andere ein Kunsthistoriker und später sehr bekannter bildender Künstler, waren Teil einer ungewöhnlichen Einheit, die aus Kunstsachverständigen aus 13 Nationen bestand. In Siegen bestand die Gefahr, dass die Werke vernichtet wurden. Kurz vor dem Eintreffen der Amerikaner hatte die SS die Herausgabe der Schätze gefordert, die Sprengung des Stollens erwogen und den mit der Leitung des Projekts beauftragten Oberbaurat Theodor Wildeman mit der Erschießung bedroht, wenn er nicht dem Abtransport der Kunstschätze zustimme.
Doch das wahrscheinlich hochkarätigste "Kunstmuseum", das die Stadt Siegen jemals beherbergt hatte, hatte nur kurze Zeit geöffnet. Wochen später wurden die Kunstschätze durch das zerstörte, aber wieder friedliche Reich ins Rheinland zurück oder nach Marburg geschafft. Der Siegener Handelslehrer Hilbert, er sollte deutsche Hilfskräfte für den Abtransport der Kunstschätze herbeischaffen, hatte die Ehre, den Karlsschrein auf einem Bollerwagen zu ziehen. Er konstatierte, der Schrein sei schwer gewesen, der Frankenkaiser jedoch wahrscheinlich nach 1141 Jahren in der Passivphase seiner Regentschaft eher federleicht.
Stoff aus Siegen in Hollywood
Die Herren Stout und Hancock zogen weiter nach Thüringen, wo es galt, in einem Salzbergwerk den Sarkophag von Friedrich dem Großen und außerdem den von Herrn Hindenburg zu retten, und im Übrigen das Gold der Reichsbank.
Die im Hainer Stollen zu Siegen gelagerten Schätze blieben unbeschädigt, wenn man von einer Delle an einer Krone absieht, die ein GI fallen ließ, und einem alten flämischen Gemälde, das durch unsachgemäße Lagerung in einem anderen Stollen gelitten hatte. Kardinal Frings erinnerte sich Jahre später in einem Geburtstagsgruß an Siegens Oberbürgermeister Fißmer an dessen Verdienste um die Rettung der Kunstgüter. Und einige weitere Jahre später las ein recht bekannter Mime namens George Clooney von den Abenteuern der Kunstschutzoffiziere, sicherte sich die Rechte an dem Stoff und begann damit, in Babelsberg bei Potsdam einen Hollywoodfilm zu drehen.
"Monuments Men" (Produzent und Hauptrolle: George Clooney), wird im Februar 2014 bei der Berlinale uraufgeführt und kommt am 20. Februar in die Kinos.