Für manche Kirchen und Religionsgemeinschaften ist diese Vorstellung immer noch völlig unmöglich: dass jemand lesbisch, schwul, bi- oder transsexuell und gleichzeitig Christ sein kann. Weil einige Kirchen und Religionsgemeinschaften sich ausgrenzend gegenüber sexuellen Minderheiten verhalten und von "Sünde" sprechen, empfinden Betroffene oft einen inneren Zwiespalt und meinen, sich zwischen ihrer Religion und ihrer sexuellen Orientierung entscheiden zu müssen. Doch beides gehört zur Identität eines Menschen, für die meisten ist weder der Glaube noch die sexuelle Identität aufgebbar.
Gerade in traditionell geprägten Kirchen und Freikirchen haben Lesben und Schwule oft Angst, sich zu outen. Sie fürchten Ablehnung ausgerechnet in der Gruppe, zu der sie seit langem dazugehören und in der sie sich engagieren. Viele Christen, die sexuellen Minderheiten angehören, schließen sich deswegen in eigenen Netzwerken zusammen. Dort erfahren sie Anerkennung und Akzeptanz und werden gemeinsam öffentlich aktiv. Mittlerweile gibt es eine weltweite Vernetzung.
Viel Interesse am Rande der Weltkirchenrat-Versammlung
Im "European Forum of Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender Christian Groups" arbeiten christliche LGBTI-Gruppen auf europäischer Ebene zusammen (LGBTI steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender/transsexuell, intersexuell). Im November vergangenen Jahres hat das European Forum die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen genutzt, um auf die Existenz und die Nöte von sexuellen Minderheiten in den Kirchen weltweit aufmerksam zu machen. Weil das im offiziellen Programm der Vollversammlung nicht möglich war, haben die LGBTI-Gruppen Infomaterial an einem Stand auf dem "Markplatz" angeboten.
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"Es sind sehr viele Menschen gekommen", berichtet Gabriele Mayer, die als Koordinatorin des European Forum mit einem internationalen Team in Busan war. "Viele BesucherInnen waren unterstützend, andere neugierig. Manche waren noch nie einem schwulen Christen oder einer lesbischen Christin begegnet. Einige sind mit deutlichem Abstand an unserem Stand vorbeigegangen, andere habe uns in heiße Diskussionen verwickelt."
Die LGBTI-Gruppen waren gut vorbereitet: Im Vorfeld der ÖRK-Vollversammlung hatten sie eine Broschüre erstellt, in denen schwule Christen und lesbische Christinnen aus verschiedenen Ländern ihre Geschichte erzählen, die meisten mit Name und Foto (evangelisch.de dokumentiert am Ende dieses Artikels drei dieser Zeugnisse). Die Broschüre, die in Busan in sechs Sprachen vorlag, fand reißenden Absatz: "Vor allem junge Koreanerinnen und Koreaner wollten sie unbedingt haben", erzählt Gabriele Mayer. Sie sei sehr glücklich darüber, dass zwei prominente ehemalige Bischöfe das Vorwort geschrieben haben: Desmond Tutu und Bärbel Wartenberg-Potter. "Anderen war es zu riskant, aber die beiden sind im Ruhestand und sie sind prominente Persönlichkeiten in der weltweiten Ökumene", erklärt Mayer.
Arbeitsauftrag: "Gender und Human Sexuality"
Gegenwind bekamen die LGBTI-Gruppen auf der ÖRK-Vollversammlung vor allem von Seiten der russisch-orthodoxen Kirche. Der Außenamtsleiter des Moskauer Partiarchats, Metropolit Hilarion, sagte in Busan, die Gleichstellung schwuler und lesbischer Paare mit heterosexuellen Ehepaaren führe zu einer "Vernichtung der traditionellen Vorstellung von Ehe und Familie". Indirekte Unterstützung erhielten die LGBT-Gruppen dagegen vom Exekutivdirektor des Hilfsprogramms Unaids, Michel Sidibé. Er warnte auf der Vollversammlung vor einer Diskriminierung von HIV-positiven Menschen und kritisierte, dass Homosexualität in rund 80 Ländern als illegal gelte.
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Befreiend und ermutigend wirkten am Schluss der Vollversammlung die Worte von Father Michael Lapsley aus Südafrika, der sich in seiner Predigt in aller Form für Diskriminierungen innerhalb der Kirchen entschuldigte: "Heute möchte ich als Christ, als Priester, der gesamten LGBTI-Community sagen: Es tut mir von Herzen Leid, dass auch wir als religiöse Menschen zu dem Schmerz beigetragen haben, den ihr durch alle Zeiten hindurch erlitten habt. Ich habe einen Traum, dass ich eines Tages die Leitenden aller unserer großen Glaubenstraditionen dieselbe Entschuldigung aussprechen höre."
So gestärkt, möchte das European Forum möchte bis zur nächsten Vollversammlung des Weltkirchenrates in sieben Jahren weiter für die Akzeptanz von sexuellen Minderheiten werben. Ein positives Ergebnis aus Busan: Die LGBTI-Gruppen konnten einen Antrag stellen, dass die offiziellen Gespräche zu "Gender und Sexualität" in einem so genannten "Safe Space" wieder aufgenommen werden sollen. Die Formulierungen verraten, dass es für manche Kirchen schon zu viel gewesen wäre, von "Lesben und Schwulen" oder "Homosexuellen" zu sprechen. Das European Forum lässt jedoch nicht nach, darauf aufmerksam zu machen, dass es sie in den Kirchen gibt. Die Broschüre mit den persönlichen Geschichten wird zurzeit in zwei weitere Sprachen übersetzt und für weitere christliche und säkulare Konferenzen nachgedruckt. "Es gibt eine große Nachfrage", freut sich Gabriele Mayer.
Evangelisch.de dokumentiert hier drei Zeugnisse von homosexuellen Christen, die in der Broschüre des European Forum abgedruckt sind:
Lukas Mukongo aus Namibia
"Ich heiße Lukas Mukongo. Ich bin schwuler Afrikaner und 30 Jahre alt. Ich wurde in dem kleinen Dorf Ohongo geboren, das liegt im Norden Namibias und ist Teil der Kultur der Oshiwambo. Meine Familie ist christlich und gehört der katholischen Kirche an. Bereits als Schüler im Alter von 14 Jahren habe ich begonnen, mich in der Kirche zu engagieren und zwar als Ministrant und Sonntagsschullehrer.
Das war nicht einfach, weil ich angefangen habe, den Jungs nachzuschauen und festgestellt habe, daß ich etwas für sie empfinde. In unserem Dorf gab es damals noch keinen Zugang zu Informationen, nicht einmal zu einem Radio, deshalb wusste ich gar nicht, was diese Gefühle zu bedeuten hatten. Ich wollte immer ehrlich sein und meinem Priester die Wahrheit sagen, aber er verschob damals andauernd unseren Gesprächstermin. Als ich ihn irgendwann abfangen konnte, riet er mir, niemandem davon zu erzählen außer ihm. Er hatte Angst, daß die Gemeinde mir das Vertrauen entziehen und dies Auswirkungen auf meine Mitarbeit in der Kirche haben könnte.
Die Oshiwambo-Kultur duldet keine Schwulen in der Kirche, sie betrachtet Homosexualität als un-afrikanisch. Es war mir wichtig, meiner Mutter mitzuteilen, daß ich schwul war. Der Priester begleitete mich dabei. Ich habe offen darüber gesprochen und die Neuigkeit hat sich in der ganzen Gemeinde herumgesprochen. Ich bin in der Kirche geblieben und die Gemeindemitglieder haben es mir gestattet. Durch mein vorbildliches Verhalten, meine Mitarbeit in der Kirche, meine Integrität und weil ich die Gemeinde spirituell mit vorangebracht habe, konnten sie mich schließlich als schwul akzeptieren. Als Afrikaner bitte ich euch, daß wir solidarisch zusammenstehen und für Gott arbeiten."
WonGyeong Jeong aus Südkorea
"Ich heiße WonGyeong Jeong. Ich bin eine junge Frau und 25 Jahre alt. Sie können mich in Daegu, Südkorea, finden. Mein spirituelles Zuhause habe ich noch nicht endgültig gefunden, aber ich bin überzeugt, dass es irgendwo auf mich wartet.
Gewöhnlich stelle ich mich als eine glückliche Lesbe vor, die an Jesus glaubt. Ausdruck meines Glaubenszeugnisses ist es, dass ich meine Sexualität durch Jesus annehme. Schon als Kind ging ich regelmäßig zur Kirche. Seit dieser Zeit habe ich an Jesus geglaubt. Besonders mag ich Immanuel, Gott ist mit uns.
Als ich die Wahrheit über mich herausfand, dachte ich, dass Gott nun nicht mehr mit mir sein würde. Meine Kirche hatte eine sehr konservative Sicht auf die Bibel – die der wörtlichen Interpretation. Die Kirche lehrte mich, dass alle unsere Sünden vergeben werden können wie Mord, Vergewaltigung, Diebstahl und so weiter. Aber Homosexualität fehlte auf dieser Liste. Mehr als neun Jahre habe ich mit meiner Homosexualität und meinem Glauben gerungen. Am Ende dieser heftigen Zeit begab ich mich auf Reisen.
Einmal saß ich am Strand und schaute auf das Meer, und dachte und dachte und dachte immerzu nach. 'Warum hat Gott, die den riesigen Ozean geschaffen hat, den endlosen Himmel und unzählbare lebendige Wesen, mich homosexuell geschaffen? Gott liebt alle Dinge, die er geschaffen hat. Und wie ist das mit mir? Wie ist das mit anderen gleichgeschlechtlich liebenden Menschen?' Da erkannte ich, dass ich falsch lag und Gott mich liebt – egal ob ich homosexuell empfinde oder nicht. Da habe ich schließlich meinen inneren Frieden gefunden."
Roman Zuiv aus der Ukraine
"Mit 15 Jahren war ich schon Ältester einer Gemeinde, weil alle Männer wegen ihres Glaubens im Gefängnis saßen. Mit 22 Jahren wurde ich von dieser Gemeinde wegen meiner sexuellen Orientierung ausgeschlossen – obwohl ich mich ganz der Mission gewidmet hatte.
Später arbeitete ich als Geistlicher in der Kirche der Adventisten. Als diese von meinem Engagement für Menschenrechte von LGBTs erfuhren, wurde ich von dieser Kirche völlig ausgeschlossen, selbst meine einfache Kirchenmitgliedschaft wurde gelöscht.
Nachdem ich soviel Diskriminierung in der Ukraine erfahren hatte, entschloss ich mich, meine eigene christliche Gemeinde aufzubauen, in der homosexuelle Christen und andere einen sicheren Ort zum Gottesdienst feiern haben sollten. Aber während unsres ersten Gottesdienstes wurde die Gemeinde 'Kirche des Heiligen Cornelius' gewalttätig angegriffen von ultra-radikalen Nazis, deren Gesichter mit Masken verhüllt waren und die Feuer legten. Meine Wohnung ist abgebrannt und ich kann von Glück reden, dass ich mit dem Leben davon gekommen bin.
Die Russisch-Orthodoxe Kirche, die Katholisch-Ukrainische Kirche und andere übten Druck auf die Behörden aus, dass sie unsere Aktivitäten als 'Bedrohung für die Nation' einstufen und meine Gemeinschaft zerstören sollten. Die Orthodoxe Kirche reichte starke Petitionen an die Regierung ein, in der sie forderten, unsre Organisation zu schließen, weil wir LGBT Christen unterstützen."