Illustration: evangelisch.de/Simone Sass
Sterben in Würde statt Suizid auf Abruf
Ein Gastbeitrag von Kerstin Griese
Die Gesellschaft muss für schwer leidende Menschen mehr übrig haben als die Tablette auf dem Nachttisch für den einsamen Suizid, schreibt Kerstin Griese (SPD) im Gastbeitrag für evangelisch.de.

Es sagt sich so leicht: "Soll doch jeder selbst entscheiden". Doch es geht um Leben und Tod und vor allem darum, wie wir sterben. Ex-MDR-Intendant Udo Reiter hat kürzlich die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in Deutschland mit dem absurden Argument eingefordert, die Krankenkassen würden ja auch Schwangerschaftsabbrüche bezahlen. Quasi die Tablette zur Selbsttötung als Regelversorgung?

Das macht mir Angst. Denn dahinter steckt ein Trend. Es wird das Lied vom "süßen Tod" gesungen: Wer alt und einsam ist, sich nutzlos fühlt, unter schweren Schmerzen leidet, hätte es doch so viel einfacher, wenn er sich "erlösen" könne. Prominente haben es vorgemacht - der gealterte Playboy Gunter Sachs in der Schweiz, der schwer kranke Schriftsteller Wolfgang Herrndorf mitten in Berlin und vor ein paar Jahren der depressive Fußballer Robert Enke. Danach ist übrigens die Zahl der Nachahmer signifikant gestiegen.

Die Realität des Suizids in Deutschland ist, dass er am häufigsten von Menschen mit schweren Depressionen und nicht etwa von solchen mit unheilbaren Krankheiten begangen wird. Einem sehr großen Teil der Menschen in einer suizidalen Krise kann man aber medizinisch und psychologisch helfen.

Palliativmedizin und Hospize eine Chance, nicht zu früh aufzugeben

Wohl jeder Mensch möchte behütet, schmerzfrei und nach einem bewussten Abschied aus dem Leben gehen. Der Bundestag hat 2009 die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen rechtlich klar gestellt. Viele, junge und ältere Menschen, wollen selbst bestimmen, wie ihre letzten Wochen und Stunden sein werden, ob sie lebensverlängernde Maßnahmen wollen oder nicht. Sich früh damit zu beschäftigen und eine Patientenverfügung aufzusetzen, hilft auch den Angehörigen, richtig zu entscheiden.

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Palliativmedizin und Hospizarbeit leisten Großartiges in Deutschland. Wer jemals ein Hospiz besucht und die dortige Liebe zu den Menschen, die Ruhe und Einfühlsamkeit erlebt hat, ist beeindruckt. Auch die spezialisierte ambulante Palliativversorgung, die es in Deutschland seit 2007 gibt, sorgt wunderbar für die zu Hause gepflegten Menschen. All das ist noch viel zu unbekannt und muss unbedingt weiter ausgebaut werden.

Es geht um die Würde des Menschen bis zu seinem Tod, denn das Sterben gehört zum Leben dazu. Franz Müntefering hat in deutlicher Schärfe auf Udo Reiter reagiert, als er schrieb: "Die Würde des Menschen hat nichts damit zu tun, ob er sich selbst den Hintern abputzen kann. Es gibt Menschen, die können das nie, und solche, die können das nach Krankheiten oder Unfällen oder altersbedingt nicht mehr. Lebten sie nicht in Würde?" Die Palliativmedizin und die Hospize bieten die Chance, nicht zu früh aufzugeben. Selbstbestimmung darf nicht nur bedeuten, über das eigene Lebensende zu entscheiden, sondern auch mit zu gestalten, wie in der Gesellschaft mit Tod und Sterben umgegangen wird.

Selbsttötung ist kein guter Ausweg

Die Gesellschaft muss für schwer leidende Menschen mehr übrig haben als die Tablette auf dem Nachttisch für den einsamen Suizid. Ein gesellschaftliches Klima, das suggeriert, die Selbsttötung sei ein guter Ausweg, ist beängstigend. Wir brauchen stattdessen eine Enttabuisierung der Volkskrankheit Depression und mehr Verständnis und Hilfe für die Betroffenen, damit sie nicht aufgeben.

Bislang ist der assistierte Suizid rechtlich eine Grauzone. Während aktive Sterbehilfe in Deutschland verboten ist und Suizid nicht strafbar ist, ist die Beihilfe zum Suizid nicht geregelt.

Wir sollten im Bundestag eine ausführliche Debatte führen, unser Gewissen befragen und einen Weg finden, geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid, wie sie einige Vereine auch in Deutschland anbieten, auszuschließen. Denn zu einer humanen Gesellschaft gehört das Sterben in Würde und nicht die Dienstleistung Suizid auf Abruf.