Foto: epd-bild/Daniel Peter
Tim Strasen arbeitet in der Praxis seines Vaters in einer Gemeinde unweit von Würzburg. Seine Doktorarbeit geht über die Zahngesundheit von Asylbewerbern.
Vorsorge ist nicht vorgesehen
Tim Strasen ist nicht gerade das, was man einen politischen Aktivisten nennen würde. Der 30-Jährige ist Zahnarzt und arbeitet in der Praxis seines Vaters in einer Gemeinde bei Würzburg. Seine Doktorarbeit hat es in sich: "Ich wollte nicht zum x-ten Mal Röntgens Leben aus medizinhistorischer Sicht aufdröseln", erläutert er. Schon im Studium knüpfte er Kontakte zur Missionsärztlichen Klinik. Dabei reifte die Idee, über die Zahngesundheit von Asylbewerbern zu promovieren.
26.01.2014
epd
Daniel Staffen-Quandt

Die Missionsärztliche Klinik hatte damals die medizinische Versorgung in der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft (GU) übernommen. Im April 2008 begann Strasen mit seiner Studie. Für seine Doktorarbeit hat er die Zähne von 66 Flüchtlingskindern untersucht und die Befunde aufgenommen. Rund ein Jahr danach folgte eine zweite Untersuchung. "Die Ergebnisse sprechen für sich", sagt Strasen. Die Zahnprobleme nehmen rapide zu.

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Die Zahngesundheit eines Menschen wird von Fachleuten nach dem sogenannten DMFT-Index eingestuft. Ein Index von 1,0 heißt dass von 28 Zähnen bei Erwachsenen - ohne Weisheitszähne - ein Zahn entweder kariös oder gefüllt ist oder ganz fehlt. Bei den 66 in der GU untersuchten Kindern und Jugendlichen stieg der DMFT-Index im Schnitt in nur einem Jahr um rund 88 Prozent. "Bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland sinkt der Wert aber eigentlich mit steigendem Alter", sagt Strasen. Nicht so bei den untersuchten Flüchtlingskindern.

Die häusliche Zahnpflege mit Zahncreme und Zahnbürste sei dabei nur ein Faktor, wenngleich ein wichtiger, sagt der junge Zahnarzt: "Das ist bei Asylbewerbern nicht anders als bei Einheimischen." Es gebe Familien in der GU, die schon in ihrer Heimat Wert auf Zahnpflege gelegt hätten, es seien aber auch jene darunter, vor allen Dingen aus bildungsfernen Schichten, die in Deutschland erstmals Zahnbürsten in der Hand hatten.

Keinerlei Vorsorge, auch nicht für Kinder

Das eigentliche Problem sei die Gesetzeslage bei der zahnmedizinischen Versorgung von Flüchtlingen. Vorsorge ist für Flüchtlinge ohne einen Aufenthaltstitel nicht vorgesehen, auch nicht für Kinder. Sie bekommen - anders als regulär gesetzlich oder privat versicherte Kinder - weder die Furchen in ihren Backenzähnen zum Schutz vor Karies versiegelt, noch eine Fluor-Behandlung mit Tabletten. Und selbst wenn sie Karies haben, wird erst geholfen, wenn bereits Schmerzen da sind.

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Eine kleine Karies koste knapp 60 Euro bei der Behandlung, ein Jahr später schlage große Karies mit mehr als 100 Euro zu Buche, so der Mediziner. "Die Extraktion ist noch einmal wesentlich teurer." Die Verweigerung von Vorsorge sowie einer rechtzeitigen Behandlung von Karies lohne sich für den Staat nur auf den ersten Blick: "Sobald die Flüchtlinge einen Aufenthaltstitel haben, gehen sie zum Arzt und lassen sich alle Zähne richten - zurecht!"

Asylverfahren als Tortur

Viele erleiden zuvor, je nachdem wie lange das Asylverfahren dauert, eine zahnmedizinische und mundhygienische Tortur. Auch wenn Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) ein Ende des Sachleistungsprinzips für Asylbewerber angekündigt hat: Noch bekommen Asylbewerber in den Gemeinschaftsunterkünften Essens- und Hygienepakete. "Dort sind für Kinder unter zwölf Jahren oft gar keine Zahnbürsten drin", berichten mehrere ehrenamtliche Helfer in Bayern. Das weisen die Behörden zwar scharf zurück, aber auch Tim Strasen bestätigt das.

Für Asylbewerber mit Karies bleibt nach der aktuellen Gesetzeslage nur: Schmerzmittel nehmen, Zahn ziehen lassen - oder einen Zahnarzt finden, der sie kostenlos behandelt. In und um Würzburg gibt es mehrere Zahnmediziner, vor allem mit Migrationshintergrund, die sich des Problems annehmen. Das sei nobel, sagt Strasen, doch müsse der Zahnarzt sein Engagement aus eigener Tasche bezahlen: "Das geht nur begrenzt."