In Deutschland leben etwa 150.000 junge Menschen in solchen Erziehungseinrichtungen. Aus ganz unter unterschiedlichen Gründen: Manche Eltern sind mit ihren Kindern überfordert, andere haben Suchtprobleme, sind gewalttätig oder haben ihre Kinder sogar missbraucht. In den meisten Fällen endet die staatliche Fürsorge mit Vollendung des 18. Lebensjahres. Forscher der Universität Hildesheim haben jetzt erstmals umfangreichere Daten über Care Leaver gesammelt.
Sie fanden unter anderem heraus, dass knapp ein Drittel von ihnen zum Zeitpunkt des Ablaufs der Hilfe weder zur Schule geht noch eine Ausbildung macht oder eine Berufsförderung erhält. Den Weg auf eine Hochschule findet sogar nur ein Prozent der Care Leaver. Zum Vergleich: Im Durchschnitt studiert in der Bundesrepublik jeder dritte junge Mensch.
Staatliche Hilfen enden mit Volljährigkeit abrupt
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Wer in Heimen oder anderen Jugendhilfeeinrichtungen war, hat in seiner Bildungslaufbahn nur bedingt auf familiäre Unterstützung zurückgreifen können, sagt die Hildesheimer Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerin Severine Thomas. Zudem enden die staatlichen Hilfen mit Erreichen der Volljährigkeit abrupt. Obwohl die Biografien der Care Leaver durchaus unterschiedlich verliefen, gebe es einen gemeinsamen Nenner, sagt Thomas: "Von heute auf morgen stecken sie in einer fragilen Lebenslage. Bei vielen bricht das Leben wie ein Kartenhaus zusammen."
Nach dem Ende der Erziehungshilfe könnten viele ehemalige Heimbewohner auf kein gesichertes familiäres oder soziales Netz zurückgreifen, die jungen Menschen seien "früh auf sich alleine gestellt". Manche fühlten sich sozial isoliert und in den eigenen vier Wänden nicht wohl, einigen drohe der Verlust der Wohnung. "Andere klopfen bei der Herkunftsfamilie an - und werden enttäuscht."
Nur wenige Care Leaver wie Anna haben mehr Glück. Sie sei bis zum Alter von 20 Jahren vom Jugendamt gefördert worden, erzählt sie. "Das ist sehr vielen anderen nicht vergönnt. Wenn ich bis 18 hätte ausziehen müssen, weiß ich nicht, ob ich das Abitur geschafft hätte".
Norwegen: bis zum 23. Lebensjahr Anspruch auf Hilfe
Für die große Mehrheit fehlten Übergangsmodelle, kritisiert Thomas. Zwar leiste das Jugendamt häufig Hilfestellung beim Umzug vom betreuten Wohnen in die eigene Wohnung, es mangele aber an "verlässlichen Wegbegleitern" - an Menschen also, die die Jugendlichen persönlich unterstützen, ihnen Halt und Sicherheit geben, sich für sie zuständig fühlen.
"Mit der Volljährigkeit müssen die Care Leaver eigenverantwortlich leben können", sagt Thomas - ungeachtet ihrer biografischen Voraussetzungen, Schul- oder Ausbildungssituation. Im Ausland ist die Entwicklung teilweise schon weiter, haben die Hildesheimer Wissenschaftler beobachtet. In Norwegen hätten die jungen Erwachsenen bis zum 23. Lebensjahr Anspruch auf Hilfe. Dort müsse das Jugendamt begründen, wenn Hilfe früher enden solle, berichtet Thomas: "Und das Amt ist verpflichtet, regelmäßig bei den Betreffenden nachzufragen, was aus ihnen geworden ist."
Um jungen Menschen, die in Heimen groß geworden sind, eine Plattform zu bieten und gemeinsam mit ihnen Verbesserungen und Forderungen zu diskutieren, bauen Forscher und Studierende in Hildesheim derzeit das Netzwerk "Care Leavers in Deutschland" auf. Sie entwickeln Informationsmaterial, einen Flyer, drehen einen Film und geben einander praktische Tipps - zum Beispiel wie man einen Bafög-Antrag stellen kann, ohne die Einkommensnachweise der Eltern vorlegen zu müssen.