Erstmals in der weit über vierzig Jahre langen "Tatort"-Geschichte zeigt die ARD einen Film aus Gründen des Jugendschützes erst nach 22 Uhr. Der Film "Franziska" ist nicht der erste Sonntagskrimi, dem das widerfährt; im September 2011 hatte bereits der Bayerische Rundfunk einen "Polizeiruf" ("Denn sie wissen nicht, was sie tun") erst am späteren Abend gezeigt. Das Fehlen von Entspannung könnte junge Zuschauer überfordern, lautete damals die Begründung. Für "Franziska" gilt das nicht minder. Die Entscheidung des WDR wird nicht allen gefallen, aber sie verdient Respekt; und sie ist absolut nachvollziehbar. Ironischerweise sind die Aspekte, die zur späteren Ausstrahlung geführt haben, gleichzeitig auch Qualitätsmerkmale des Films: Dror Zahavi (zuletzt "Das Jeruslem-Syndrom"), dank Dramen wie "Mein Leben – Marcel Reich-Ranicki", "Zivilcourage" oder "Und alle haben geschwiegen" ohnehin ein Ausnahmekönner unter den hiesigen Regisseuren, sind neunzig Minuten Hochspannung gelungen, die zumindest in der jüngeren "Tatort"-Historie ihresgleichen suchen.
Fieberhafte Suche nach dem wahren Mörder
Das liegt naturgemäß auch an der Vorlage von Jürgen Werner, der nach "Schimanski" ("Loverboy") und dem jüngsten "Tatort" aus Dortmund ("Eine andere Welt") innerhalb weniger Wochen zum dritten Mal mit einem Sonntagskrimi des WDR im "Ersten" vertreten ist. Seine Geschichte lässt sich auf wenige Sätze reduzieren: Franziska (Tessa Mittelstaedt), die Assistentin der Kölner Kommissare Ballauf und Schenk (Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär), ist bei einem Besuch der Kölner Justizvollzugsanstalt in die Fänge des Vergewaltigers und Mörders Kehl (Hinnerk Schönemann) geraten. Eigentlich hat der Mann seine Strafe so gut wie abgesessen, doch er ist überzeugt, dass ihm die Ermordung eines Mithäftlings in die Schuhe geschoben werden soll; daher will er nun seine Freilassung erpressen. Während der Staatsanwalt auf Zeit spielt, suchen Ballauf und Schenk fieberhaft nach dem wahren Mörder.
Die Handlung spielt sich mehr oder weniger in Echtzeit ab, was die Spannung naturgemäß verstärkt, doch zu einem außerordentlichen Film wird der Thriller durch die Ausweglosigkeit der Situation: Kehl hat sich mit Franziska in einem Besprechungszimmer verschanzt. Er ist mit einem Messer bewaffnet, doch die größere Bedrohung geht von dem Kabelbinder um ihren Hals aus: Zieht der Verbrecher die Schlinge zu, lässt sie sich nicht mehr öffnen; der unmittelbar Tod wäre die Folge. Während das SEK nach einer Lösung sucht, ohne das Leben der Kollegin zu gefährden, stoßen die Kommissare auf Spuren, die die Geiselnahme in ganz neuem Licht erscheinen lassen; und selbstredend spielen auch zwei Frauenleichen, die nach vielen Jahren in einem Abbruchhaus entdeckt werden, eine viel größere Rolle, als ihre beiläufige Erwähnung nahe legt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Doch es sind nicht nur die hintergründige Komplexität des Drehbuchs und Zahavis Inszenierung, die "Franziska" zu einem außergewöhnlichen Sonntagskrimi machen. Tessa Mittelstaedt darf in ihrem letzten "Tatort" endlich mal zeigen, was sie kann, und Hinnerk Schönemann steht ihr mit seiner vielschichtigen Verkörperung des Verbrechers, den man durchaus sympathisch finden kann, in nichts nach; beide agieren bei diesem Katz-und-Maus-Spiel, in dessen Verlauf die Rollen ständig wechseln, mit großer Glaubwürdigkeit. Bemerkenswert ist auch die Bildgestaltung (Kamera: Gero Steffen), die die klaustrophobische und über weite Strecken fast kammerspielartige Konstellation selbstredend noch betont; entstanden ist der Film in der ehemaligen JVA Düsseldorf ("Ulmer Höh"). Es gibt zwar auch einige Momente schockierender Gewalt, doch ähnlich wie bei "Denn sie wissen nicht, was sie tun" dürfte es vor allem die durchgängig beklemmende Atmosphäre gewesen sein, die zur Jugendschutzentscheidung geführt hat. Gegen Ende sorgt Werner mit seiner Auflösung zudem noch für einen Gänsehautmoment; und der erschütternde Schluss wird ohnehin niemanden kalt lassen.