Die Bilanz der Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien in der EU und Deutschland ist bedrückend.
Während in den Bürgerkriegen des postkommunistischen Jugoslawiens allein in Deutschland noch 300.000 Flüchtlinge aus dem Kosovo und Bosnien wenigstens vorübergehend aufgenommen werden konnten, fanden nach UN-Angaben heute in der EU nur etwa 13.000 Flüchtlinge Schutz vor dem Bürgerkrieg Syriens.
Die Nachbarstaaten Syriens dagegen haben seit 2011 über 2,7 Millionen Syrer aufgenommen, die aus ihrer Heimat geflohen sind - 600.000 in die Türkei, 800.000 in den Libanon, 550.000 nach Jordanien, 200.000 in den Irak und 125.000 nach Ägypten. Im Unterschied zu ihrer relativ effizienten Betreuung in der Türkei lebt die große Mehrheit der Flüchtlinge Syriens in den anderen Aufnahmestaaten in extremer, menschenunwürdiger Not. Etwa 70 % sind Frauen und Kinder.
Und die Flucht aus Syrien hält noch an. Für 2014 erwarten die Vereinten Nationen einen Anstieg auf vier Millionen Flüchtige. In Syrien selbst sind bereits über sechs Millionen Binnenflüchtlinge auf der Suche nach Schutz vor dem Krieg.
Trotz der inhumanen Bedingungen der Massenflucht in und aus Syrien hat sich Deutschland bisher nur zur Aufnahme von 10.000 Flüchtlingen bereit erklärt. Von ihnen konnten allerdings bis zum Jahresende 2013 durch die Hürden der Bürokratie nur etwa 1.300 Personen einreisen. Dazu kamen noch einige Hundert Familienangehörige von Syrern, die ihren Wohnsitz schon in Deutschland haben und bereit waren, die derzeitigen und die künftigen Kosten der Flucht und Versorgung von Verwandten zu übernehmen.
Eine angemessene Hilfe der EU ist nicht in Sicht
Diesem für die amtliche Politik so kostengünstigen Zuwanderungsmodell und dem Appell an die Opferbereitschaft der Syrer in Deutschland (ca. 40.000) werden allerdings in den einzelnen Bundesländern durch behördliche Kontingentierungen der Aufnahmen knappe Grenzen gesetzt (z.B. Nordrhein-Westfalen 1.000, Baden-Württemberg 500, Saarland 62).
Deutschland hat innerhalb der EU bisher durch 380 Millionen Euro mit weitem Abstand die größten finanziellen Leistungen für Flüchtlinge Syriens aufgebracht und etwa 80 % der nach Europa geflüchteten Migranten aufgenommenen. Eine dem wirtschaftlichen Potential der EU und Deutschlands angemessenere Aufnahme und effektivere Flüchtlingshilfe ist aber bislang nicht in Sicht – und dies, obwohl über das Elend der Flüchtlinge Syriens samt ihren gefährlichen möglichen politischen Folgen für die Aufnahmeländer in den Medien ausführlich berichtet wurde.
Diese Aufnahmeverweigerung ist umso bemerkenswerter, da Zuwanderung nach Deutschland aus demografischen Gründen heute von allen Parteien des Bundestags begrüßt wird. Für die Politiker haben die Flüchtlinge aus Syrien durch das hohe Bildungsniveau, die kulturelle Prägung durch säkulare Traditionen und einen bedeutenden Anteil von Christen eigentlich ein willkommenes Profil.
Es geht um die Legitimität unserer Politik
Aber für die wenig visionären politischen Einstellungen für die Aufnahme syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge ist es charakteristisch, dass der Vorschlag der Partei der Grünen für eine großzügigere Aufnahme von 50.000 syrischen Flüchtlingen und zuletzt dann auch im Herbst 2013 die Forderung der Evangelischen Kirche im Rheinland, diese Zahl auf 100.000 anzuheben, nur einen schwachen medialen und politischen Widerhall hatten.
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Dafür mag es zahlreiche Gründe geben – so etwa die mediale Bedeutung der Bundestagswahl und der Regierungsbildung, die Zukunft des Euro und andere Ungewissheiten. Hier beim Flüchtlingsschutz ging und geht es jedoch um fundamental Wichtiges: um die Legitimität unserer Politik und die Qualität unserer politischen Kultur.
Die Verweigerung einer humanen Aufnahme von Flüchtlingen verleugnet das Gebot der Nächstenliebe, der Solidarität der Menschen mit Menschen. Offenheit für Flüchtlinge und die Gewährung von Asyl sind zwingende ethische Vorgaben. Schutz vor Gefährdung an Leib und Leben sind - wie das Recht auf Auswanderung und Flucht aus drückender Armut - Menschenrechte!
Verletzungen der Menschenrechte aber richten sich gegen das humane Fundament unserer eigenen politischen Ordnung. Dieses Fundament ist ein Gebot des Grundgesetzes. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland begründet die Rechte seiner Bürger aus der Würde des Menschen und nicht aus der Würde der Deutschen. Die Menschenwürde ist unteilbar. Sie gilt für alle Menschen – auch für Flüchtlinge.
Menschlichkeit und Menschenrechte gelten auch für Fremde
Diese Vorgabe wird in der heute immer mehr zur Einheit zusammenwachsenden Welt zu einer epochalen Herausforderung für Europa.
Syrien und die anderen islamischen Staaten des Nahen Ostens sind Nachbarn Europas. Das schwächliche Engagement Europas für den Schutz von Flüchtlingen aus islamischen Staaten, das der "Fall" Syrien wieder demonstriert, wird in ihnen sehr genau registriert. Es fördert überlieferte Vorbehalte gegen Europa und die Botschaft der Menschenrechte. Ein weit kraftvolleres visionäres Engagement der Europäischen Union und Deutschlands ist gefordert.
Im europäischen Nationalismus galten und gelten Menschlichkeit und Menschenrechte primär für die Bürger des eigenen Staates. Solche Einstellungen dürfen in einer Zeit der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und dessen Erbschaft eines menschenverachtenden Nationalismus nicht mehr hingenommen werden. In Deutschland, dem Land, in dem der Nationalismus jegliche Menschlichkeit im Holocaust zu vernichten versuchte, sind sie besonders schändlich. Der entschlossene Abschied vom Nationalismus und seinem unmenschlichen Potential ist gerade hierzulande unverzichtbar. Der Nationalismus will nur "Volksgenossen" einen legitimen Platz in der eigenen Nation einräumen.
"Vergangenheitsbewältigung" muss sich aber auf die aktive Gestaltung der Zukunft beziehen. Eine echte, nicht nur museale "Aufarbeitung" muss auch den Verletzungen der Menschenrechte im Flüchtlingsgeschehen Einhalt gebieten.