Die Moko-Chöre aus Heidelberg
Foto: Detlev Knoche/EKHN
Die Moko-Chöre aus Heidelberg bei ihrem Auftritt in der Frankfurter Katharinenkirche am 20. Dezember 2013
Ein Tänzchen für Madiba in Frankfurt
Was der Südafrikaner mit der hessischen Kirche zu tun hat
"Er ist zwar weg, aber er hat uns nicht verlassen", sagt Salomon Bombaye, der am Freitagabend die Mandela-Gedenkfeier in der Frankfurter Katharinenkirche besucht. "Ich möchte dabei sein, wenn es um Nelson Mandela geht." Die Feier ist bunt und fröhlich, aber auch nachdenklich. Frankfurt erinnert sich an die eigenen Verbindungen zur Anti-Apartheids-Bewegung – und an die Verpflichtung, auch heute gegen Rassismus einzustehen.

Gedrängel im Eingangsbereich der Katharinenkirche, die Moko-Chöre aus Heidelberg stehen hier bereit und wartet auf das "Go"– Frauen in bunten Röcken, Männer in gemusterten Hemden. Drinnen sind die Bänke fast voll besetzt. Gunhild Graf aus Frankfurt hat einen Platz weit vorne. "Ich war vor etlichen Jahren in Südafrika und habe die Rassentrennung mitbekommen – das war gruselig. Mandela hat sich nicht für sich eingesetzt, sondern für sein Volk. Hier, in der Gemeinde von Menschen ist es anders als im Fernsehen, an ihn zu denken."

Ursula Trautwein mit Winnie Mandelas Bibel

Steffen Lindemann verfolgt die Gedenkfeier von einer der Seitenbänke aus, der Frankfurter interessiert sich für afrikanische Literatur und Politik und ist gekommen, um Nelson Mandela zu würdigen: "Seine friedfertige Art und seine grandiose Offenheit sind schon etwas Bewundernswertes. Ich möchte dabei sein."

Der Chor zieht ein, laut singend in einer südafrikanischen Sprache – es macht Spaß. Sie tanzen und rufen, strecken die Hände in die Luft. Dann wird es ernst. Die deutsche Art des Gedenkens ist eben doch anders als die südafrikanische: Kein großes Foto von Mandela schmückt die Kirche. Statt dessen gibt es Worte, viele Worte, drei Stunden lang: Zitate aus Mandelas berühmter Rede vor Gericht am 20. April 1964, Zitate aus seiner Autobiografie, persönliche Zeugnisse.

Tinyiko Maluleke von der Universität Johannesburg erzählt, wie ein Radiojounalist ihn mit der Nachricht von Mandelas Tod in der Nacht des 5. Dezember aus dem Schlaf gerissen hat. Maluleke war so schockiert, dass er einfach den Hörer auflegte. Inzwischen hat er sich gefangen und kann ausrücken, was Mandela nicht nur für sein Land, sondern auch für ihn persönlich bedeutet: "Heute bin ich Teil des Leitungsgremiums der Universität", sagt Maluleke. Früher habe es dort nur Weiße gegeben, heute sei die Mehrzahl der Studenten schwarz, und die Uni werde von einem schwarzen Präsidenten mit drei schwarzen Vizepräsidenten und zwei Vizepräsidentinnen geleitet. Das wäre ohne Nelson Mandela nicht möglich gewesen, ist Maluleke überzeugt. "Der Radiojournalist, der mich mitten in der nicht geweckt hat und sagte, dass Nelson Mandela tot ist, hat gelogen. Nelson Mandela lebt noch. Ich bin Nelson Mandela. Und ihr seid es auch."

Winnie Mandelas Bibel

Ursula Trautwein solidarisiert sich mehr mit den Frauen des südafrikanischen Freiheitskampfes. Sie erinnert sich an ihre Demos mit den Frankfurter "Boykottfrauen", damals vor einem südafrikanischen Reisebüro in der Innenstadt, wo sie angefeindet worden seien mit dem Vorwurf, sie unterstützten Terroristen. "Bei dem Hass, der uns hier manchmal entgegenschlug, konnten wir ahnen, was es in Südafrika bedeutete, als Ehefrau, als Mutter, als Kind eines Terroristen zu leben."

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Jetzt steht Ursula Trautwein am Rednerpult und hält ein Buch in die Höhe: Es ist Winnie Mandelas Bibel. Oberkirchenrat Hinz hat sie 1987 aus Südafrika zum Evangelischen Kirchentag nach Frankfurt mitgebracht. Schlägt man die Bibel auf, erscheinen die Umrisse einer Pistole, schwarz, ausgestanzt aus den vorderen Seiten. Diese Bibel war eine Morddrohung gegen Winnie Mandela: Sie fand sie eines Tages auf ihrem Kopfkissen. Die Bibel blieb – auf Winnie Mandelas Wunsch hin – im Besitz des Frankfurter Ehepaares Ursula und Dieter Trautwein und ist zurzeit im Bibelhaus Erlebnis Museum Frankfurt zu sehen. Mit diesem Erinnerungsstück ist Ursula Trautwein der Star des Abends: Viele Besucher wollen sie am Schluss fotografieren – mit Winnie Mandelas Pistolen-Bibel im Arm.

Spannend war es in den Siebziger und Achtziger Jahren in Hessen. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), erinnert an den Streit, der auch in der Kirche gestritten wurde: Soll man den Kampf gegen die Apartheid unterstützen oder nicht? Neben der kleinen reformierten Kirche sei die EKHN die einzige deutsche Landeskirche gewesen, die Geld in einen Antirassismus-Sonderfonds des Weltkirchenrates überwies – 100.000 Mark  –  nach heftiger Debatte auf der Synode 1970. Darauf könne die EKHN nun auch ein wenig stolz sein, meint Volker Jung, "aber ich sage bewusst: ein wenig. Viel wichtiger ist, dass wir darin die bleibende Verpflichtung erkennen, aufmerksam zu sein und zu bleiben, wo Menschen heute diskriminiert werden."

Danbaki Habib berichtet von Rassismus in Deutschland.

Diskriminierung und Rassismus gibt es noch. Auch hier und heute – in Frankfurt am Main. Danbaki Habib von der Initiative Christy Schwundeck (ICS) berichtet davon. Der junge Mann ist wütend und aufgeregt, verhaspelt sich, doch als einziger in der langen Rednerliste bekommt er spontanen Zwischenapplaus. Habib zählt Beispiele auf von Polizeigewalt gegen Schwarze, von unterlassener Hilfeleistung, von Todesfällen. "Das sind Apartheids-Situationen, die wir hier in Deutschland vorfinden. Das erleben wir hier in Frankfurt!" Flüchtlinge würden kriminalisiert und unterdrückt. "Wir hier in Deutschland und Europa können nicht einerseits versuchen, die Menschenwürde überall durchzusetzen – aber bei uns nicht!" Wieder Applaus. "Meine Bitte ist – im Geiste von Madiba – dass wir das auch praktizieren, wofür er gestanden hat", sagt Danbaki Habib.

Der Oldenburger Theologe Ben Khumalo-Seegelken zitiert aus Mandelas berühmter Rede vor Gericht im April 1964: "Ich habe gegen die weiße Vorherrschaft gekämpft und ich habe gegen die schwarze Vorherrschaft gekämpft. Mein teuerstes Ideal ist eine freie und demokratische Gesellschaft, in der alle in Harmonie mit gleichen Chancen leben können. Ich hoffe, lange genug zu leben, um dies zu erreichen. Doch wenn dies notwendig ist, ist dies ein Ideal, für das ich zu sterben bereit bin." Khumalo-Seegelken trägt diese Worte viel Emotion vor, verbeugt sich, würdigt Mandelas Haltung, mit der er aus dem Gefängnis heraus ging: "aufrecht und mit erhobenem Kopf, vergebungsbereit, weder verbittert noch nachtragend".

Der Chor hört nicht auf zu singen

Regierende anderer Länder sollten sich Nelson Mandela zum Vorbild nehmen, sagt er, "dass sie Menschen unter Menschen bleiben und Mitmenschlichkeit anstreben". Khumalo-Seegelken verlässt das Rednerpult tanzend, im Mandela-Tanz-Style. Lacher aus dem Publikum.

Lachende Gesichter auch im Chor, der singend Richtung Ausgang zieht, sich aber kurz vor der Tür weigert mit dem Singen aufzuhören. Die Sängerinnen und Sänger bilden ein Spalier. Wer raus will aus der Katharinenkirche, muss hier durch - und bekommt was aufs Ohr. So geht Gedenken auf Südafrikanisch: Laut, fröhlich, mit Tanz und Musik. Madiba hätte das gefallen.