Die Sternsinger im rumänischen Dorf Bîrlea, alle in Tracht, lächeln in die Kamera und singen: "Sie gebar einen schönen Sohn / nämlich Jesus Christus, / Jeder betet ihn an, / Nur die Juden murrten. / Verdammte Jids / ertragen nicht den Heiligen / Weder im Himmel noch auf Erden. / Nur im Schornstein, im Rauch, / Dort ist der Jid gut / Soll so Rauch ausgehen."
Herr Katz, wie haben Sie vom judenfeindlichen Weihnachtslied erfahren?
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Maximilian Marco Katz: Jemand rief mich an und fragte mich, ob ich die entsprechende Fernsehsendung gesehen hätte, was ich verneinte. Ich engagiere mich seit 10 Jahren gegen den Antisemitismus, jedoch ehrenamtlich, und kann daher nicht jeder Beschwerde nachgehen. Aufgrund des Anrufes habe ich mir dieses Lied jedoch im Internet angeschaut und dagegen protestiert.
Wie populär sind solche folkloristisch-religiöse Sendungen in Rumänien?
Katz: In dieser Jahreszeit schauen sich sehr viele Rumänen solche Sendungen an und hören solche Lieder täglich. Diese christlich-religiösen Lieder, die teilweise 100 Jahre alt sind, werden lediglich zu Weihnachten gesungen.
In welchem Sender wurde das Programm der Weihnachtslieder gesendet?
Katz: Im Rahmen einer Sendung des staatlichen dritten Kanals TV3, der landesweit sendet, wurde diese Sendung aus der Stadt Cluj live ausgestrahlt. In der Sendung sang der Chor "Dor Transilvan" zwei Weihnachtslieder. Der Sender erhielt wohl die CD mit den beiden Titeln vier Stunden vor der Live-Sendung, hat sie aber nicht überprüft, obwohl ein Abteilungsleiter dort selbst jüdisch ist. Das zeigt, dass es eigentlich niemanden interessiert, ob sie die Gefühle von Juden verletzen. Die beiden Titel wurden durch den musikalischen Direktor des Chors, Tiberiu Groza, aus der CD des Chors ausgesucht, weil sie kurz und unbekannt waren. Er musste wegen dieses Skandals zurücktreten.
"Wenn er nicht verstanden hat, dass der Aufruf, die Juden zu verbrennen, antisemitisch sei, dann bin ich sprachlos"
Groza, der zugleich Direktor des regionalen Zentrums zur Förderung der traditionellen Kultur ist, entschuldigt sich auf seiner Facebook-Seite, indem er behauptet, keine traditionellen Weihnachtslieder seien antisemitisch, er habe das Lied mehrmals gehört, aber sich nie vorstellen können, dass es eine Minderheit, die er respektiert, verletzen könne. Die besagten Texte hätte er vorher "durch die Seele und nicht den Verstand" gehört. Zudem habe sein Chor Auschwitz und Birkenau (so im Original!) zweimal besucht, um das Grauen, das die Juden erlitten haben, zu erfahren. Er selbst sei in Auschwitz sogar dreimal gewesen. Was sagen Sie dazu?
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Katz: (lacht) Ich bin sicher, dass Groza den Inhalt des Liedes genau kannte. Seine "Entschuldigung" macht mich sprachlos und zeigt, dass er antisemitisch ist. Denn wenn er nicht verstanden hat, dass der Aufruf, die Juden zu verbrennen, antisemitisch sei, dann bin ich sprachlos. Ich kenne auch Holocaust-Leugner, die Auschwitz besuchten, um zu lernen, wie sie die Shoah besser leugnen können. Wenn er wirklich dort war, dann hat er wirklich nichts verstanden und das Thema ist ihm eigentlich egal. Daher hat es für mich keinerlei Bedeutung, dass er Auschwitz besuchte. Das macht ihn noch lange nicht zu einem Freund der Juden. Ich habe gar keine Empathie für ihn.
Sie haben einen offenen Protestbrief an den Staatspräsidenten Traian Basescu und an Premierminister Victor Ponta geschrieben. Haben sie eine Antwort erhalten?
Katz: Nein, aber leider das ist üblich hier in Rumänien. Auch das European Jewish Parliament, bei dem ich Mitglied bin, wie auch die jüdisch-amerikanischen Organisationen AJC und Bnai Brith wandten sich an diese Herren, erhielt jedoch keine Antwort. Stattdessen schrieb der Premier an die Leiterin des Holocaust Museums in Washington. Auch die rumänischen Medien, mit Ausnahme der Webseite "Hot News", berichteten darüber erst, nachdem die Geschichte Schlagzeilen im Ausland machte. Schließlich schrieb Premier Ponta an die Leiterin des Holocaust Museums in Washington, und Außenminister Titus Corlatean beruhigte die internationale Öffentlichkeit. Doch weder der Kultur- noch der Bildungs- oder Innenminister, der zuständig für die Förderer des Chors ist, reagierten, denn die Reaktionen im Inland interessieren sie nicht.
Mit Ihrem Protest konnten Sie dennoch Einiges bewegen.
Katz: Ja. Der Nationale Rat für audiovisuelle Medien Rumäniens (CNA), bei dem wir uns beschwert hatten, verhängte gegen TVR3 eine Geldstrafe von umgerechnet 12.000 Euro. Der Chorleiter wurde durch den Regionalrat der Stadt Cluj zum Rücktritt aufgefordert und trat zurück. Der parlamentarische Nationale Rat gegen Diskriminierung (CNCD) verhängte kleinere Geldstrafen gegen die Kommunen, die den Chor fördern. Das ist eine beachtliche Leistung, die aber nur dank der internationalen Medien, die über unsere Beschwerde berichteten, möglich wurde. Sonst wäre in Rumänien nichts geschehen. Wir begrüßen diese Schritte, obwohl sie das das Kernproblem nicht lösen.
"Manchmal habe ich Angst, aber ich werde weitermachen"
Sind Sie zufrieden, wie Rumänien den Antisemitismus bekämpft?
Katz: Rumänien hatte niemals wirklich den Willen, den Antisemitismus zu bekämpfen. Aber vor dem NATO-Beitritt Rumäniens 2004 und besonders dem EU-Beitritt 2007 versuchte Rumänien zumindest die internationale Gemeinschaft zu überzeugen, dass dies der Fall sein wird. Seitdem hat dieser Wille nachgelassen.
Die Webseite Ihrer Organisation funktioniert auf einmal nicht. Ein Zufall?
Katz: Es ist sehr interessant, dass gerade jetzt die Webseite von MCA-Rumänien ausgefallen ist. Wir suchen noch nach dem Grund, aber man kann uns weiterhin über Facebook erreichen. Wir haben aufgrund unseres Protests Hunderte grausame antisemitische Reaktionen und Drohungen erhalten. Doch das sind wir seit zehn Jahren schon gewöhnt.
Das antisemitische Lied befindet sich wohl auf der CD des Chors. Werden Sie gegen deren Verbreitung vorgehen?
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Katz: Diese CD hat laut Groza eine Auflage von 100 Kopien und sei nicht für den Verkauf bestimmt. Wir haben leider keine Informationen über die CD und deren Verkauf. Die faschistische rumänische Bewegung, die "grünen Hemden", rief jedenfalls alle Rumänen dazu auf, jetzt erst recht diese CD zu kaufen.
Haben Sie Angst? Denken Sie manchmal daran aufzuhören?
Katz: Manchmal habe ich Angst, aber ich werde weitermachen, denn mein Onkel wurde 1941 im Pogrom in Bukarest ermordet und mein Großvater gefoltert. Im Gedenken an sie werde ich nicht aufhören.