Vor 13 Jahren hatten es die beiden mittlerweile in Würde ergrauten Kommissare aus München schon einmal mit einem Todesfall im Mediengeschäft zu tun: In "Einmal täglich" (2000) war der Hauptdarsteller einer täglichen Serie ermordet worden, weshalb der Film stellenweise wie eine Parodie auf "Daily Soaps" wirkte. Mittlerweile hat sich die Welt weitergedreht. Der Schauplatz von "Allmächtig" ist daher das Internet, oder richtiger gesagt: die Produktionsfirma AAA, die eine ebenso beliebte wie skandalöse "Reality"-Reihe für ein Internetportal herstellt. Star und Namensgeber des Unternehmens ist Albert A. Anast, und wenn man die Buchstaben seine Künstlernachnamens ein bisschen durcheinander wirft, ahnt man, warum sich ein Kirchenmann gar zum Exorzismus berufen fühlt, um Anast den Teufel auszutreiben: Der Mann stellt mit seiner Show auf skrupellose Weise Menschen bloß, die daraufhin prompt in existenzielle Nöte geraten. Einige haben sich zu einer Art Selbsthilfegruppe zusammengetan, und als der Moderator gefoltert und erschlagen aufgefunden wird, gibt es entsprechend viele Verdächtige.
Triftige Mordmotive
Es wird seine Gründe gehabt haben, warum gleich drei namhafte Autoren (Gerlinde Wolf, Harald Göckeritz, Edward Berger) nötig waren, um dem Drehbuch den letzten Schliff zu geben, aber dem Film hat dies zum Glück nicht geschadet. Regisseur Jochen Alexander Freydank ist vor fünf Jahren mit dem "Oscar" für den besten Kurzfilm ausgezeichnet worden ("Spielzeugland") und hat zuletzt mit "Und weg bist du" eine ausgesprochen sehenswerte schwarze Komödie gedreht. Auch "Allmächtig" ist stellenweise recht makaber. Gerade die Auftritte von Anast, den Alexander Schubert angemessen diabolisch verkörpert, sind eine finstere Parodie auf vergleichbare Vorbilder: Anast klingelt an Türen, drängelt sich in die Wohnungen und sorgt mit hämischen Rufmorden dafür, dass seine Opfer vor aller Welt bloßgestellt werden. Allerdings gibt es auch andere Zeitgenossen mit vergleichbar triftigen Mordmotiven, allen voran die beiden gleichberechtigten Partner bei der Produktionsfirma (Claudia Hübschmann, Dominic Boeer), denen das aufgeblähte Ego des Frontmanns gehörig auf die Nerven ging.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Schon allein die immer wieder integrierten Clips von Anasts Heimsuchungen sind eine Abwechslung. Die Rollen der Opfer sind komplex genug, um Mitgefühl mit ihrem rasanten sozialen Abstieg zu empfinden. Aber auch die Bildgestaltung stellt eine ganz spezielle Stimmung her. Die Geschichte spielt im Hochsommer, und die flirrende Hitze kommt auch in den Aufnahmen (Kamera: Peter Joachim Krause) zum Ausdruck. Außerdem gibt es mehrere moderate Western-Anklänge, etwa in Form von Einstellungen, die die beiden Kommissare (Miroslav Nemens, Udo Wachtveitl) aus der Untersicht im grellen Gegenlicht zeigen. Immer wieder erfreuen Freydank und Krause zudem mit originellen Blickwinkeln, bei denen auch mal eine Vogelscheuche oder ein Fliegenfänger groß ins Bild geraten. Erst recht eigenwillig sind einige extreme Nahaufnahmen, mal unappetitlich (Maden, die in einer Wunde wimmeln), mal aus scheinbarer Freude am Bild (ein Tropfen, der dem Toten aufs Gesicht platscht).
Sehr stimmungsvoll ist andererseits eine Szene, die quasi den ersten Akt beschließt und sämtliche handelnden Personen dabei zeigt, wie sie versonnen und vereinzelt ihren Gedanken nachgehen. All das ist jedoch nicht aufdringlich oder gar experimentell, die Bildgestaltung verstellt nie den Blick auf die Geschichte, sondern trägt vielmehr dazu bei, dass dieser "Tatort", der am Ende noch "unprofessionellen Heldenscheiß" (Leitmayr) zu bieten hat, auch optisch ein Genuss ist.