Foto: WDR/Jens von Zoest
Die Kölner "Tatort"-Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt, links) und Freddy Schenk (Dietmar Bär).
Der TV-Kommissar als Moralapostel
Eine neue Studie adelt die Krimireihe "Tatort" zur gesellschaftspolitischen Institution, die Werte und Normen zementiert.

Die erfolgreiche Krimireihe "Tatort" hat sich einer neuen Studie zufolge zu einer moralischen Institution entwickelt, deren Bedeutung für die Gesellschaft nicht unterschätzt werden darf. Fernsehkommissare wie Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und das Kölner Gespann Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) sind nicht weniger als "maßgebliche Hüter der Fernsehmoral", wie der Kulturwissenschaftler Hendrik Buhl in seinem jetzt erschienenen Buch "Tatort – Gesellschaftspolitische Themen in der Krimireihe" (UVK Verlagsgesellschaft Konstanz, 358 Seiten, 34 Euro) anhand zahlreicher Beispiele aufzeigt. Die Kehrseite der Medaille: Manchmal übertreiben es die Kommissare mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger.

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Dass die mehr als 40 Jahre alte Krimireihe für viele Zuschauer nicht nur einen hohen Unterhaltungswert, sondern auch gesellschaftspolitische Relevanz hat, ist keine neue Erkenntnis – schon immer spiegelten sich gerade im "Tatort" die Themen, die der Gesellschaft auf den Nägeln brannten. In den Krimis aus Hamburg, München, Berlin, Leipzig und vielen anderen Städten und Regionen geht es häufig um soziale Spannungen, Ausländerfeindlichkeit, Jugendgewalt und auch Alkoholismus, eingepackt in einen Krimiplot, an dessen Ende Handschellen klicken, wenn der Täter geschnappt ist.

Dutzende Folgen der Krimireihe analysiert

In vielen "Tatort"-Krimis wird nicht nur ein Mörder überführt, sondern auch ein Missstand thematisiert. Doch die Reihe leistet der neuen Studie zufolge viel mehr als das, sie zementiert geradezu "sittliche Grundsätze, Werte oder Normen", wie Kulturwissenschaftler Buhl schreibt, der Dutzende Episoden der Krimireihe genau analysiert hat.

Wenn es das Leipziger Ermittlergespann Saalfeld (Simone Thomalla) und Keppler (Martin Wuttke) also mit der Ausbeutung von Leiharbeitern und Zwangsprostitution zu tun bekommt, die Kölner Ballauf und Schenk in die deprimierende Welt von Obdachlosen eintauchen, der Kieler Ermittler Klaus Borowski (Axel Milberg) einen Fall von Kindesmisshandlung untersucht und sich die Konstanzer Kommissarin Klara Blum (Eva Mattes) mit den verheerenden Auswirkungen von Partydrogen beschäftigen muss, geht es um weit mehr als bloße Milieustudien. Es geht in vielen Episoden der Krimireihe auch darum, wie in der Gesellschaft über solche Missstände diskutiert werden kann und wie sie zu bewerten sind: "Sie zeigt und steckt den Rahmen dessen ab, was sag- und wissbar und in weitesten Teilen als gut oder schlecht zu gelten hat", heißt es in Buhls Buch. Dass die Fernsehkrimis den Zuschauer aber nicht lückenlos über gesellschaftspolitische Themen informieren können, versteht sich dabei von selbst – schließlich darf die Spannung, die sich aus der Suche nach dem Mörder ergibt, nicht zu kurz kommen.

"Tatort"-Kommissare als Hüter der Moral: Das ist natürlich ein Ritterschlag für die Krimireihe, der die ARD und die vielen Fans freuen dürfte. Doch der Kulturwissenschaftler stellt in der Analyse auch fest, dass sich die Ermittler nur selten neutral verhalten und sich manchmal allzu eilfertig um politische Korrektheit bemühen, was mitunter in Sozialkitsch ausartet – etwa wenn die Angehörigen von Minderheiten und Problemgruppen wie beispielsweise Obdachlose durchweg als sympathische Verlierer geschildert werden. Dann werden die Kommissare schon mal zu Moralaposteln, die manchem Zuschauer gehörig auf den Geist gehen.